„Ossis“? Fehlanzeige!

„Ossis“? Fehlanzeige!

Am 9. November 1989 fiel in Berlin die Mauer. Damit war auch die deutsch-deutsche Grenze in Gänze Geschichte. Ein unvergesslicher Glücksmoment!

Das von 1961 bis 1989 geteilte Berlin gilt bis heute auch als der Platz in Deutschland, in der sich die Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands quasi prototypisch vollzog. Mit allen guten, aber auch mit allen schlechten Seiten.

In kürzester Zeit musste aus den solitären, fast hermetisch abgetrennten zwei Teilen ein Ganzes gemacht werden: Eine Verwaltung, aber auch eine Daseinsvorsorgewirtschaft. Aus den Verkehrsbetrieben Ost (BVB) und der BVG West wurden die Berliner Verkehrsbetriebe. Damit sich bei diesem Akt keiner benachteiligt fühlte, bekam das Unternehmen die Abkürzung BVG. Dass die Buchstaben nicht stimmten, war egal. Symbolisch wurde Parität hergestellt. Aber praktisch?

Die Westberliner Verwaltung war das Modell für die neue Gesamtberliner Variante. Ich schreibe diesen Text am 12. Februar 2023. Das ist der Tag der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen. Dieses in Deutschland noch nie zuvor erlebte „Dacapo“ gilt als das Symbol für die sprichwörtliche Ineffizienz und Inkompetenz der Berliner Exekutive. Dass so pauschal nicht alles in Bausch und Bogen verdammt werden darf, will ich als Berliner Bürger ausdrücklich anmerken. Nicht aus Opportunismus, politischer Korrektheit oder gar Angst vor Extra Knöllchen wegen „Nestbeschmutzung“.

Das Modell West war Pflicht. Man hatte ja ein marodes System im Osten übernommen. Dumm nur, dass das „Vorbild“ nicht per se besser war. Bei der Berliner Verwaltung brauche ich weder Fakten, noch Argumente, um dies zu beweisen Dass ich so pauschal recht habe, hat sich bis in den letzten deutschen Winkel herumgesprochen. Reden wir aber konkret über Schulen, Sport, Kultur oder das ambulante Gesundheitswesen, wird es sofort auch ideologisch. Die Schulen in der DDR waren doch Indoktrinations-„Anstalten“, der Sport kriminelles „Staats-Doping“, die Kultur ein „Hort schlimmster Zensur“ und in den Polikliniken waren manchmal sogar Verbandsmaterialien knapp…….. Und wer dort, in der Justiz, in den Hochschulen und nicht zuletzt in der Wirtschaft zu DDR-Zeiten Verantwortung trug, für den galt frei nach Brecht der Spruch bei der Verurteilung des römischen Lukullus: „Ins Nichts mit ihm!“

Nach diesem Schema wurden im vereinten Berlin von Anfang an und mit großer Konsequenz (fast) alle Spitzenposten mit bewährten Kräften aus dem Westen besetzt. Etliche unter ihnen hatten ihr „Talent“ schon zu Frontstadt-Zeiten damit bewiesen, die Subventions-Milliarden aus Bonn mit vollen Händen und ohne jedes Maß unter die Leute zu bringen. Ich habe gar nicht erst gegoogelt, denn viele werden sich daran erinnern, dass der Westteil der Stadt gar reich an Affären war, wenn es zum Beispiel ums öffentliche Bauen ging. Dafür stehen beispielhaft der Steglitzer Kreisel und der Bauunternehmer Dietrich Garski. Wer Westberlin und Bauskandale eingibt, findet reichlich Lektüre.

Aber heute schreiben wir das Jahr 2023. Jetzt ist doch alles gut!!! Deutschland hatte 16 Jahre Angela Merkel aus dem brandenburgischen Templin als Kanzlerin. Und im Roten Rathaus regierte seit 2021 Franziska Giffey aus Frankfurt/Oder…….

In der Berliner Daseinsvorsorgewirtschaft war man schon viel eher mutig. Dort avancierte 1994 der Ossi Bertram Wieczorek zum Vorstandsvorsitzenden und blieb es immerhin bis 1999. Über diese „Ära“ schrieb Der Spiegel: „Als die DDR noch real existierte, leitete der ehrgeizige Mediziner ein Rehabilitationszentrum im Vogtland und war als Funktionär bei den CDU-Blockflöten eine Stütze des Systems. In der letzten DDR-Regierung reüssierte er als Parlamentarischer Staatssekretär beim Minister für Abrüstung und Verteidigung. Nach der Vereinigung zierte er in gleicher Funktion das Bundesumweltministerium. Im Februar 1994 avancierte der gelernte Koch zum Vorstandsvorsitzenden der Berliner Wasserbetriebe (BWB). Das ist bei einem Jahresgehalt von 300 000 Mark schön für Bertram Wieczorek, aber weniger schön für die Wasserwerke der Hauptstadt – und gar nicht schön für die Kunden des Monopolunternehmens. Nachdem die BWB 1994 von einem Eigenbetrieb des Landes in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt war, begann der Vorstand ein großes Rad zu drehen und munter Firmen im In- und Ausland aufzukaufen. Die Versuche, auf dem Weltmarkt Wellen zu schlagen, haben den BWB bislang allerdings Verluste in dreistelliger Millionenhöhe eingebracht. Gleichzeitig wurde Wasser in Berlin so teuer wie in keinem anderen deutschen Bundesland. In den achtziger Jahren gehörten die West-Berliner Wasser- und Abwasserpreise zu den niedrigsten der Bundesrepublik. Doch mit dem Hinweis, dass Milliarden für die Sanierung des maroden Ost-Berliner Wassersystems aufgewendet werden müssen, wurden seit der Wiedervereinigung in West-Berlin Preiserhöhungen um über 100 Prozent begründet. Im Ostteil der Stadt haben sich die Gebühren sogar verzwanzigfacht.“ (Der Spiegel 51/1997).

Ich habe Bertram Wieczorek einige Male persönlich getroffen. Er war das Gesicht eines in der Tat größenwahnsinnigen Vorstandes, der aus einem  kommunalen Wasserbetrieb einen Weltkonzern machen wollte. Dass Wieczorek seine fragwürdige „Karriere“ 1999 beenden musste, war mehr als gerecht. Aber mich beschleicht schon das Gefühl, dass der Arzt aus dem Osten, der nun wirklich mit keinerlei Qualifikation für den Vorstandsposten ausgewiesen war, gleichnishaft dafür auch dafür stehen musste, dass mit Ossis an der Spitze von öffentlichen Unternehmen kein Staat zu machen ist. Spannend wäre zu ergründen, wer ihn und warum auf diesen Posten gehievt hat? Nach meiner Kenntnis blieb es bei diesem einen Versuch. Sowohl bei den BWW, als auch den anderen Berliner Daseinsvorsorgeunternehmen. Ost-West-Parität im neuen geeinten Berlin? Weder dort, noch beim Bund, nicht einmal – belegt durch etliche Studien –  in den fünf ostdeutschen Ländern!

Ich kenne aus eigener Anschauung die Geschichte der hauptstädtischen Wasserbetriebe recht gut und habe mich auch wissenschaftlich mit dem Unternehmen beschäftigt. Deshalb sage ich mit bestem Wissen und Gewissen, dass die Personalie Wieczorek für alles Mögliche steht, aber ganz bestimmt nicht für die prinzipielle Unfähigkeit von Ossis, Spitzenfunktionen auszuüben. Als Beleg sei folgender Exkurs gestattet: „Die Funktionalität der AöR war in der Berliner Landesverfassung kaum ausdefiniert, sodass die neu entstandenen BWB außerordentliche Freiheiten genossen. Sie  durften zum Beispiel auch außerhalb des eigenen Gebiets- und Funktionsmonopols im Markt agieren. Die kurze Phase zwischen 1994 und 1998 war geprägt von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen und Missmanagement. Allein das den Wasserbetrieben zu 100 Prozent gehörende Sonderverwertungszentrum Schwarze Pumpe häufte eine halbe Milliarde Euro Verlust an. Das Projekt wurde schon zur Wendezeit in Gang gebracht. Aus Klärschlamm sollte Energie gewonnen werden, was angesichts technischer Defizite allerdings nur zu horrenden und inakzeptablen Kosten gelang. Die Investitionen in die Telekommunikation und das wirtschaftliche Engagement außerhalb Deutschlands bis nach China erwiesen sich ebenfalls als Luftnummern. Der Eigentümer – das Land Berlin – war nicht in der Lage, über das neu geschaffenen Gremium des Aufsichtsrates und der Gewährträgerversammlung eine angemessene Steuerung auf das Unternehmen auszuüben.“ (Schäfer, Michael / Rethmann, Ludger: Öffentlich-Private Partnerschaften. Auslaufmodell oder eine Strategie für kommunale Daseinsvorsorge?, Springer Gabler, Wiesbaden, 2020, S. 154f).

Wer die ganze Geschichte lesen will, dem sei im genannten Buch das Unterkapitel „Die (Teil)Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe“ empfohlen – eine der spannendsten in der deutschen Daseinsvorsorgewirtschaft überhaupt. Dafür stehen beispielhaft der „Berliner Wassertisch“ und die Rekommunalisierung des Unternehmens 2012/2013.

Der gescheiterte Bertram Wieczorek ist also nicht der Grund, warum bis heute die Chefetagen großer Berliner Daseinsvorsorgeunternehmen „ossifrei“ sind. Im Umkehrschluss ist es aber auch nicht Prof. Dr. Wolfgang Engler. Er war von 2005 bis 2017 der bis dato erste und einzige Rektor einer Berliner Hochschule mit Ost-Biografie. Und zwar nicht irgendeiner, sondern der erfolgreichsten und bekanntesten Schauspielschule im gesamten deutschsprachigen Raum, der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Für deren Qualität stehen Absolventen wie Fritzi Haberlandt, Corinna Harfouch, Nina Hoss, Dagmar Manzel, Henry Hübchen, Charly Hübner, Lars Eidinger, Jan Josef Liefers, Matthias Schweighöfer oder Devid Striesow. Kurz vor seiner Emeritierung sagte mir Wolfang Engler in einem Interview für meine Zeitschrift UNTERNEHMERIN KOMMUNE folgendes: „Als ich im Jahr 2005 Rektor der „Busch“ wurde, war ich der erste Ostdeutsche, der eine Berliner Hochschule nach dem Umbruch leitete. Inzwischen haben auch die Prorektorin und der Kanzler einen ostdeutschen Hintergrund. Wenn ich auf die zwölf Jahre zurückschaue, in denen ich die Verantwortung für unsere Hochschule tragen durfte, dann möchte ich in aller Zurückhaltung mehrere Dinge anmerken: Erstens haben wir in dieser Periode sehr erfolgreich gearbeitet. Wäre das nicht geglückt , säße ich nicht mehr hier, denn ein Ostdeutscher als Rektor einer öffentlichen Hochschule ist in dieser Stadt auch weiterhin alles andere als eine Normalität, was im Umkehrschluss auch heißt, dass es immer noch manchen stört. Zweitens hat unser ostdeutsches Team an der Hochschulspitze von Anfang an mit großer Kollektivität, Transparenz, gegenseitiger Wertschätzung und Offenheit zusammengewirkt. Wahrlich keine Selbstverständlichkeit in unserer Hochschullandschaft. Und drittens haben wir bewiesen, dass es lohnenswert ist, Ostdeutschen Verantwortung zu übertragen. Ich habe große Zweifel, dass diese Schlussfolgerung hier in Berlin und anderswo gezogen wird. Mein Nachfolger – das sage ich völlig wertfrei – kommt aus Hamburg und die Berliner Rektoren haben ab dem 1. Oktober 2017 wieder komplett eine westdeutsche Biographie“ UNTERNEHMERIN KOMMUNE, Oktober, 2017).

Fazit:   Weder das gute – Prof. Dr. Wolfgang Engler – noch das schlechte Beispiel – Bertram Wieczorek – taugen als Begründung dafür, dass auch heute, im Jahr 2023, kaum Menschen mit ostdeutscher oder Ost-Berliner Herkunft an der Spitze öffentlicher Einrichtungen und Unternehmen in unserer Hauptstadt in stehen.

Für die wichtigsten Daseinsvorsorgeunternehmen habe ich das aktuell (Stand: Februar 2023) selbst recherchiert. Und an den strukturbestimmenden Universitäten und Hochschulen ist das Bild nahezu identisch.

Lesen Sie dazu meine tabellarische Bestandsaufnahme.

Anteil der Ostdeutschen (incl. Ostberliner) in den Führungspositionen der wichtigsten Daseinsvorsorge-Unternehmen Berlins

[1] Am 1. August 2023 tritt an die Stelle des altersbedingt ausscheidenden Finanzvorstands der bereits designierte Nachfolger. Woher er stammt? Kein schweres Rätsel. Aus dem Westen!

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