Alle Macht den Kommunen!

In meinem ersten Kommentar seit dem Neustart des Blogs im Januar war der von mir  erdachte Begriff von den vier „Totengräbern der kommunalen Selbstverwaltung“ schon in der Überschrift. Diesen exponierten Platz wird er – leider – noch lange behalten. In meinen Kommentaren und in allen weiteren Texten. „Dank“ jener, die beim Bund und den Ländern politische Verantwortung tragen und denen die kommunalen Belange sch…ßegal sind. Das ist die Mehrzahl.

Alle Macht den Kommunen!

„Kommunale Intelligenz. Potenzialentfaltung in Städten und Gemeinden“. Dieses Buch des renommierten Hirnforscher Gerald Hüther erschien 2013 bei der Hamburger Körber-Stiftung. Es feiert heuer sein zehnjähriges Jubiläum. Und ist aktueller denn je. Überzeugen Sie sich: Hüter schrieb vor einer Dekade: „Die vorherrschende Devise zur Bekämpfung der inzwischen auf allen Ebenen unserer gesellschaftlichen Entwicklung zutage getretenen Schwierigkeiten lautet: noch mehr vom Alten, noch mehr Vorschriften, noch mehr Kontrolle, noch mehr Einsparungen bei gleichzeitiger Forderung nach mehr Wachstum. So werden sich die Probleme unseres Bildungs- und Gesundheitswesens, unserer sozialen Absicherung, unseres Finanzwesens und Politikbetriebs nicht beheben lassen. In diesem Mahlstrom ständig wachsender und immer neuer ökonomischer und sozialer Probleme und den daraus resultierenden Einsparungs- und Effizienzverbesserungsentwürfen laufen vor allem unsere Kommunen – unsere Städte, Dörfer und Gemeinden – zunehmend Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren und das, was sie leisten sollten, nicht mehr leisten zu können.“ Hüthers Ausweg aus diesem Teufelskreis: „Was Kommunen also brauchen, um zukunftsfähig zu sein, wäre eine andere – eine für die Entfaltung der in ihren Bürgern angelegten Potenziale und der in der Kommune vorhandenen Möglichkeiten –  günstigere Beziehungskultur. Eine Kultur, in der jeder Einzelne spürt, dass er gebraucht wird, dass alle miteinander verbunden sind, voneinander lernen und miteinander wachsen können. Die Kommune ist schließlich der Ort, an dem Heranwachsende lernen, worauf es im Leben ankommt, wie man gemeinsam mit anderen sein Leben gestaltet und wie man seinen Teil der Verantwortung für dieses Zusammenleben übernimmt. Insofern ist und bleibt die Kommune der entscheidende und komplexeste Erfahrungsraum, in dem das soziale Leben eingeübt werden kann. Wenn Kommunen oder ihre kleineren Einheiten, die Familie, aufhören, diesen sozialen Lernraum bewusst zu gestalten, verliert die betreffende Gemeinschaft das psychoemotionale Band, das ihre Mitglieder zusammenhält. Solche Gesellschaften beginnen dann gewissermaßen von innen heraus zu zerfallen. Denn überall dort, wo Angst geschürt, Druck gemacht, genau vorgeschrieben und peinlich überprüft und kontrolliert, wo Mitdenken nicht wertgeschätzt wird und eigene Verantwortung nicht übernommen werden kann, verliert der Innovationsgeist der Mitglieder einer solchen Gemeinschaft, die thermische Strömung, die gebraucht wird, um seine Flügel zu entfalten.“ Hüthers Fazit im Jahr 2013 würde heute nach harscher ausfallen. Die meisten Kommunen sind zehn Jahre später noch weiter davon entfernt, zu Orten zu werden, an denen die dort lebenden Bürger und vor allem die dort heranwachsenden Kinder und Jugendlichen sich eingeladen, ermutigt und inspiriert fühlen, ihre Flügel in Form der von ihnen angelegten Potenziale gemeinschaftlich zu entfalten.“

Überregulierung und die inzwischen nahezu komplette Missachtung der Subsidiarität haben den Bürger vor Ort noch mehr entmündigt. Er badet in immer kürzeren Intervallen aus, was andere selbstherrlich und inkompetent über ihn entscheiden. Dass inzwischen wieder Hustensaft in den Regalen der Apotheken stehen( das war unser Thema im Januar) ist nicht das Ergebnis weitsichtiger Entscheidungen. Nein, angesichts der höher stehenden Sonne haben sich die Viren auf ihre Sommer-Schlaf-Plätze bewegen. Frohgemut, denn im Herbst werden sie wieder frohlocken. Hustenorgien von Garmisch-Partenkirchen bis zum Ostseebad Binz. Denn es gibt wieder keinen Saft. Aber noch haben wir Februar. An dessen Tag Nr. 6  „schoss“ ich das obige Einleitungsfoto am Berliner Bahnhof Zoo. Sie haben richtig gelesen. Die im Juni 2022 begonnene Modernisierung seines Erdgeschosses soll bis Sommer 2027 dauern. Vermutlich wird’s 2030. Transponierte ich dieses „Tempo“ auf den BER wäre er nicht schon 2020 mit nur elfjähriger Verspätung eröffnet worden, sondern der Start weitsichtig auf 2099 verlegt worden.

Kein Wunder, dass unser Bundesverkehrsminister lieber Autobahnen baut. Weil ich die Vorlieben  von Herrn Wissing kenne, bin ich am 6. Februar am Bahnhof Zoo mit einer Stunde Polster in die S-Bahn zum Hauptbahnhof (vier Stationen, laut Fahrplan acht Minuten) eingestiegen. Wegen einer „Signalstörung am Ostbahnhof“ brauchte die S-Bahn-Tochter der mehr berüchtigten als berühmten DB AG heute eine Dreiviertelstunde. Mit hängender Zunge habe ich gerade so meinen ICE nach München geschafft. Alte Herren wie ich sollten viel öfter ihren Puls mobilisieren. Sorry, Herr Minister. Jetzt habe ich doch endlich kapiert, dass Sie ein richtiges Verständnis von Daseinsvorsorge haben…….

Streiten Sie weiter mit den Roten und Grünen darüber, was „nachhaltige Projekte“ der Verkehrsinfrastruktur sind. Am Ende siegt auch bei Ihnen – wie schon bei den vielen Vorgängern von der CSU – die deutsche Auto- und Bauindustrie.

Was uns im Lande hilft, ist kein Minister mit einem anderen Parteibuch. Zumal gelb auch in einer richtigen Ampel nicht das Synonym für ein „Jetzt geht’s los“ ist.

Gefragt ist Radikalität. Ich plädiere dafür, dass wir uns wieder in die  Traditionslinie der Stein/Hardenberg’schen Reformen begeben. Damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, wurde in Deutschland zum letzten Mal richtig geklotzt.

Wenn wir jetzt wieder loslegen, ginge es um ein Reformwerk, das auf die objektiven Entwicklungen zu mehr Globalisierung die einzig dialektische, die kommunale Antwort geben würde. Und die Kraft hätte, den von Gerald Hüther gebrandmarkten und von „oben“ verursachten Mangel an kommunaler Gestaltungskraft zu beheben. Nur so würde die Gesellschaft von unten nach oben ihre Stagnation überwinden und schöpferischen Elan zurückgewinnen.

Eckpunkte eines solchen visionären Projekts wären nach meiner Vorstellung folgende:

  • Ein starker Nationalstaat mit zentralen Exekutivaufgaben, die besser nicht in Brüssel erledigt werden sollten und auch nicht können (vor allem zentrale Infrastruktur, Bildung, Wissenschaft und Kultur im nationalen Maßstab und von nationalem Rang).
  • Eine starke und wirklich unabhängige Judikative auf Ebene des Nationalstaates, also mit gesamtstaatlichen Zuständigkeiten.
  • Starke Kommunen: Ober- und Mittelzentren als Konzentrationspunkte der Daseinsvorsorge, als Stätten der lokalen und regionalen Rechtspflege und in deren Umfeld kleine prosperierende Städte und Gemeinden als identitätsstiftende Einheiten.
  • Verzicht auf alle weiteren Strukturen wie Bundesländer, Kreise und andere Zwischenebenen.
  • Und „über allem“ eine starke, personell und finanziell bestens ausgestattete Legislative, in der die Gesetze von A bis Z entstehen, und nicht unter immer stärkerer Federführung der Exekutive.
  • Für diese Gesetzgebung endlich unter Federführung der Mandatsträger gäbe es zwei Kammern: ein nationales Parlament und eine zweite Kammer, in der mandatierte Vertreter der Kommunen über ausnahmslos alle Gesetze mit beraten und mit beschließen.
  • Vor allem über diese zweite Kammer, die „Kommunale“, wird die direkte Bürgerbeteiligung am Gesetzgebungsprozess umfassend organisiert.

Unserem Land wird es erst dann wieder gut gehen, wenn die Städte und Gemeinden mit ihren Menschen die wichtigste Instanz der politischen Willensbildung sind: „Alle Macht den Kommunen!“

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