Erfahrungsaustausch ist die billigste Investition

Von links nach rechts: Dr. Kristian Kassebohm, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender Stadtwerke Bad Belzig GmbH, Geschäftsführer Remondis Wasser & Energie GmbH, Udo Glatthaar, Oberbürgermeister Bad Mergentheim, Vorsitzender Thüga-Beirat und Aufsichtsratsvorsitzender Stadtwerke Tauberfranken GmbH, Prof. Dr. Michael Schäfer, Professor für Kommunalwirtschaft i. R. AR-Mitglied Stadtwerke Bad Belzig und Autor u. a. des Standardwerks „Kommunalwirtschaft. Eine gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Analyse“ (Springer Gabler, 2014)

(Rechte: Stadt Bad Mergentheim, kostenlose Überlassung für diesen Beitrag)

 

„Erfahrungsaustausch ist die billigste Investition“

Von Prof. Dr. Michael Schäfer

Übrigens, dieser Slogan wurde dereinst in der DDR „erfunden“. Damals auch im Kontext mit den knappen wirtschaftlichen Ressourcen. Der Satz ist aber auch gültig, wenn alle Quellen reichlich sprudeln.

Die Rettung der Stadtwerke Bad Belzig GmbH gelang durch die Einbindung eines starken strategischen Partners aus der Privatwirtschaft: Die familiengeführte Remondis-Gruppe ist damit an nunmehr 67 kommunalen Unternehmen beteiligt, in den meisten Fällen als Minderheitsgesellschafter. Für den Autor dieses Beitrags bekanntlich eine zentrale Prämisse.

Aber auch mit dem kräftigen neuen 49-Prozent-Gesellschafter sind die Spielräume dieses Brandenburger Stadtwerks – nicht zuletzt wegen erheblicher Kapitaldienstverpflichtungen –  limitiert. Auch deshalb die Überschrift, die signalisiert, dass Kreativität gefragt ist. Wie kann das Daseinsvorsorgeunternehmen auch mit knappen Ressourcen entwickelt und die Ertragskraft gesteigert werden? Das ist eine auch auf längere Sicht zentrale Frage. Antworten muss in erster Linie die Geschäftsführung im Dialog mit den engagierten Mitarbeitern finden. Große Bedeutung hat in diesem Prozess neben den Gesellschaftern der Aufsichtsrat. Wie dieses Gremium Beiträge für die gedeihliche Entwicklung des Unternehmens leisten kann, muss nicht in Bad Belzig „erfunden“ werden. Dafür gibt es umfassende Erfahrungen im größten deutschen kommunalwirtschaftlichen Beteiligungsnetzwerk, dem der Thüga. Das Stichwort lautet „Aufsichtsrats-Strategieklausuren“. Das Konzept für dieses Instrument wurde im Jahr 2016 unter Federführung des Bereichs Kommunikation und unter Mitwirkung der Key-Accounter der Thüga AG entwickelt.[1] Seit 2017 wird es in fast allen der rund 100 kommunalen Beteiligungen der Thüga erfolgreich umgesetzt. Dazu gehören auch die Stadtwerke Tauberfranken GmbH.

Warum ausgerechnet Bad Mergentheim?

Beide Städte, Bad Mergentheim und Bad Belzig, haben den staatlich anerkannten Bäderstatus. Das ist ein begehrtes Gütesiegel, und es hat auch etwas mit Daseinsvorsorge zu tun. Aber eine Antwort auf unsere Frage, warum sich zwei Mitglieder des nach Ende des Insolvenzverfahrens neuformierten Aufsichtsrats der Stadtwerke Bad Belzig auf die 457 Kilometer lange Reise nach Bad Mergentheim begeben haben, ist es nicht.

Wohl aber, dass die Stadtwerke Tauberfranken zu den ersten gehörten, die im Thüga-Verbund dieses Format nutzen. Damit verfügen sie über umfangreiche inhaltliche und methodische Erfahrungen und können belegen, dass dieses Vorgehen ein Stadtwerk sichtbar voranbringt.

Dass dieses Know-how in Bad Belzig genutzt werden kann, liegt auf der Hand. Wie es aber auch praktisch wurde, ist ein Mix aus Wissenschaft und Praxis.

Zunächst zur Wissenschaft: 2014 ist das Standardwerk „Kommunalwirtschaft. Eine gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Analyse“ erschienen[2]. Voraussichtlich Ende Oktober 2023 kommt die zweite Auflage in den Buchhandel. Nicht nur aktualisiert, sondern um viele Inhalte erweitert. Besondere Bedeutung haben hier zwei ganz neue Unterkapitel. Das eine betrifft die Insolvenz der Stadtwerke Bad Belzig[3], das andere die strategische Ausrichtung kommunaler Unternehmen mit einem Exkurs zu den Thüga-Strategieklausuren, die ausführlich am Beispiel Stadtwerke Tauberfranken dargestellt werden.

Und die „menschelnde“ Praxis? Autor des Buches, der zweiten Auflage und damit auch der erwähnten Unterkapital ist der Verfasser dieses Blog-Textes. Er war etliche Jahre Mitglied im Thüga-Beirat, hat sich auch aus dieser Perspektive mit den Strategieklausuren befasst und mit diesen Kenntnissen das dringende Erfordernis gesehen, dieses Format in der Neuauflage wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Als die Insolvenz der Stadtwerke Gera AG im Jahr 2014 manifest wurde, war „Kommunalwirtschaft“ bereits gedruckt. Diesen Vorgang bei der nächsten Aktualisierung umfassend zur Kenntnis zu nehmen, war ein Muss. Dass sieben Jahre später – die Arbeiten an der Zweitauflage hatten gerade begonnen die Stadtwerke Bad Belzig zum dritten Insolvenzfall in der Nachkriegsgeschichte dieser Unternehmensfamilie wurden, war insofern ein glücklicher[4] Zufall, weil damit Gera und Bad Belzig im Zusammenhang im Buch evaluiert werden konnten. Die Insolvenz der Stadtwerke Wanzleben, ebenfalls 2014, war eher ein Einzelfall in einem sehr kleinen Einsparten-Stadtwerk. Eine wissenschaftliche Evaluierung war nicht angezeigt, der Fakt musste nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.

Weil der Autor 24 Jahre lang, bis 2014, seinen Lebensmittelpunkt in Brandenburg hatte und an der dortigen Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde bis 2018 als Professor für Kommunalwirtschaft gelehrt hat, ist es wiederum selbstverständlich, dass er die Vorgänge in Bad Belzig intensiv und auch vor Ort zur Kenntnis genommen hat. Für ihn ist es folgerichtig und zudem erfüllend, dass er nach der wissenschaftlichen Inaugenscheinnahme und Begleitung nunmehr als Mitglied des Aufsichtsrats die Möglichkeit hat, für die erfolgreiche Entwicklung der Stadtwerke einen Beitrag zu leisten. Zum Beispiel mit dem Vorschlag, den Erfahrungsaustausch mit dem Stadtwerk Tauberfranken auf den Weg zu bringen. Die Idee fand bei den Verantwortlichen in beiden „Bädern“ positive Aufnahme.

Zwei wichtige Buchthemen, die aus 457 Kilometern Entfernung Nähe machten: Naturwärme, Wasserstoff, Breitband und kulturelle Daseinsvorsorge

Die 457 Kilometer von Bad Belzig nach Bad Mergentheim „bewältigten“ Dr. Kristian Kassebohm, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Bad Belzig, und Geschäftsführer eines Remondis-Unternehmens und der Autor.

Vor Ort nahmen sich viel Zeit der Oberbürgermeister, zugleich Vorsitzender des kommunalen Thüga-Beirats und des Aufsichtsrats der Stadtwerke, Udo Glatthaar, und die beiden Geschäftsführer dieses Unternehmens, Paul Gehrig und Dr.-Ing. Norbert Schön.

Kristian Kassebohm und Michael Schäfer bedankten sich für die warmherzige Aufnahme und die Gastfreundschaft. Dank gab es auch für emotionale Einblicke in die kulturelle Daseinsvorsorge, die von Bad Mergentheim und weiteren Kommunen der Umgebung geprägt wird: eine hochklassige Musical-Aufführung am Abend, maßgeblich geprägt von ortsansässigen Amateurschauspielern und -sängern. Kunst und Entspannung von Bürgern für Bürger!

Die Gespräche am 29. und 30. Juni waren erfreulich offen und deshalb auch konstruktiv und produktiv. Für die Gäste aus der Mark Brandenburg war nicht zuletzt die Praxisnähe von großem Wert. Was kann mit dem Instrument Aufsichtsrats-Strategieklausuren bewegt und forciert werden? Welche Rolle spielen die Ergebnisse für die Kommunikation mit dem Stadtrat und den Bürgern in Bad Mergentheim und der Region? Das waren die grundlegenden Fragen. Die Antworten wurden illustriert mit konkreten Projekten, wie der Entwicklung des neuen Geschäftsfeldes Naturwärme ab dem Jahr 2012 oder den neuen Themen Wasserstoff und Breitband. In allen Fällen gaben Diskussionen in den Strategieklausuren entscheidende Impulse.

Aus dem intensiven Austausch – letztlich war es auch einer zwischen zwei großen Beteiligungsnetzwerken – folgen konkrete Aktivitäten. In der nächsten Aufsichtsratssitzung der Stadtwerke Bad Belzig, die Anfang September beim Minderheitsgesellschafter in Lünen stattfindet, steht die strategische Ausrichtung des Unternehmens im Zentrum. In diesem Kontext wird auch das Instrument Strategieklausuren vorgestellt und diskutiert, welche Rolle es 2024 in der Tätigkeit des Aufsichtsrats spielen soll.

Einigkeit herrschte übrigens beim Diskurs in Bad Mergentheim auch darüber, dass sich die Nutzung des Instruments AR-Strategie-Klausuren in gemeinsamen kommunalen Daseinsvorsorgeunternehmen nicht darin unterscheidet, ob der Beteiligungspartner ebenfalls kommunal wie die Thüga oder ein privates Familienunternehmen wie Remondis ist. Maßgeblich sei vielmehr, dass diese Gesellschafter die letztinstanzliche Verantwortung des kommunalen Unternehmens vor Ort für die Daseinsvorsorge ((manifestiert durch die Aufgabenträgerschaft und auch durch den Status, im Regelfall als Mehrheitsgesellschafter) im Blick haben. Ein zweiter Aspekt ist die Anerkennung der demokratischen Legimitation des Aufsichtsrats. Dessen Mitglieder werden in den allermeisten Fällen durch den von den Bürgern der jeweiligen Gebietskörperschaft (Stadt oder Landkreis) frei, allgemein und demokratisch gewählten Stadtrat, Stadtverordnetenversammlung bzw. Kreistag entsandt. Damit besteht eine durchgängige demokratische Legimitationskette, aus der wiederum die Verantwortung des Aufsichtsrats abgeleitet werden muss, das kommunale Eigentum – letztlich das Bürgereigentum (im engen Miteinander mit den Gesellschaftern und der Geschäftsführung) zu behüten und zu mehren. In diesem Kontext hat die strategische Ausrichtung der Unternehmen eine herausgehobene Bedeutung.

Dass die Gastgeber aus dem fränkischen Teil Baden-Württembergs eine ebenso positive Bilanz des Austauschs wie die Gäste ziehen, ist auf der Webseite von Bad Mergentheim nachzulesen. Dort wurde über den Besuch ganz aktuell berichtet. Dieser sei, so Oberbürgermeister Udo Glatthaar, über das Thüga-Netzwerk zustande gekommen. Wörtlich: „Daseins-Vorsorge, die Versorgungssicherheit sowie die Optimierung der Infrastruktur sind entscheidende Fragen für die Kommunen und die kommunalen Versorger.“ Dies hätten jüngst die Erfahrungen mit der Pandemie und dem Krieg gegen die Ukraine unterstrichen. „Deshalb ist es für Stadt und Stadtwerk von großem Interesse, profunde wissenschaftliche Erkenntnisse, organisatorische Denk-Anstöße und Fragen der langfristigen strategischen Steuerung mit Experten zu beleuchten, die hier über umfangreiche Einblicke und langjährige Erfahrung verfügen,“ so der OB und Vorsitzende des Thüga-Beirats abschließend.

https://www.bad-mergentheim.de/de/presse/presse-aktuell/austausch-zur-daseins-vorsorge-id_5714/

Nach dieser Bewertung liegt eine Fortsetzung der Gespräche auf der Hand. Eine entsprechende Einladung an den Oberbürgermeister und die beiden Stadtwerke-Geschäftsführer wurde beim Abschlussgespräch mit dem OB am 30. Juni im Rathaus ausgesprochen und angenommen. Inzwischen gibt es auch eine Termin. Am 7. November 2023 werden Oberbürgermeister, zugleich Thüga-Beiratsvorsitzender, Udo Glatthaar und einer der beiden Geschäftsführer der Stadtwerke Tauberfranken, Dr.-Ing. Norbert Schön, in Nordrhein-Westfalen sein. Dort werden sie zunächst die Enervie, eine kommunale Remondis-Minderheitsbeteiligung in Hagen besuchen. Anschließend wird sich in Holzwickede die Rhenus SE & Co. KG – der internationale Logistikdienstleister hat einen Jahresumsatz von ca. 7 Milliarden Euro (2021), alleiniger Gesellschafter ist die Rethmann-Gruppe – vorstellen. Danach steht ein Besuch des Remondis-Lippewerk in Lünen, es ist Europas größtes Zentrum für industrielles Recycling, auf dem Programm. Die abschließende Gesprächsrunde findet in der Unternehmenszentrale, ebenfalls in Lünen beheimatet, statt.

[1] Wesentliche Merkmale sind vor allem folgende: Die Klausuren finden im Regelfall einmal jährlich statt. Es sind immer eigenständige Veranstaltungen, d. h. die strategische Ausrichtung des Unternehmens ist das einzige Thema. Realisiert werden in der Regel eintägige Treffen; bei komplizierten Themen sind auch Zweitagesveranstaltungen üblich, und zwar nicht in den jeweiligen Unternehmen, sondern in Tagungsstätten, in denen nach den Klausuren ein informeller Austausch z. B. im Zusammenhang mit einem gemeinsamen Abendessen ermöglicht werden kann. Neben allen Mitgliedern des Aufsichtsrats werden themenbezogen Mitarbeiter der Stadtwerke hinzugezogen bzw. Experten aus den Fachabteilungen der Thüga-AG. Die Klausuren werden moderiert (aus dem Kreis der Teilnehmer oder aus der Thüga). Es gibt eine feste Tagesordnung auf der Grundlage einer Mustergliederung. Diese wird für das jeweilige Thema / die jeweiligen Themen modifiziert und konkretisiert.

[2] Der Titel kommt aus dem renommierten Verlag Springer Gabler, Wiesbaden, nicht nur bei Wirtschaftswissenschaften eine erste Adresse in Deutschland.

[3] Zu diesem Thema erscheint im August ein ausführlicher Text in der Rubrik Daseinsvorsorge, der sich auch auf das neue Unterkapitel in der Zweitauflage von „Kommunalwirtschaft“ stützt. Zwei Insolvenzfälle, Gera (2014) und Bad Belzig (2021/2022) seit Ende des 2. Weltkriegs bei rund 1 000 Unternehmen – das ist tatsächlich eine Marginalie und dies steht für einen leistungsfähigen robusten Unternehmenstypus.

[4] Natürlich ist jede Insolvenz eines Daseinsvorsorgeunternehmens, auch wenn das sehr, sehr selten passiert, einfach nur „Mist“.

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