Engagement der Sparkassen gehört zur Daseinsvorsorge

Interview mit Jürgen Polzehl, Bürgermeister der Stadt Schwedt und Vorsitzender des Verwaltungsrates der Stadtsparkasse Schwedt und Jürgen Dybowski, Vorstandsvorsitzender dieser Sparkasse

Die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen gehört seit vielen Jahren zum Kerngeschäft der Sparkassen. Im Gegensatz zu den deutschen Großbanken sind diese Institute in allen Landesteilen auch in der Fläche präsent. Denn die Vergabe von Krediten an den Handwerksmeister oder den Gebäudedienstleister mit zehn Mitarbeitern ist auch im Zeitalter der Digitalisierung ein Vorgang geblieben, der ohne persönliches Vertrauen kaum denkbar wäre. Und sie gehört wegen der besonderen Bedeutung dieser Kundengruppe zumindest im weiteren Sinne zur Daseinsvorsorge. Viele Handwerksleistungen verdienen das Attribut existentiell. Die Versorgung mit Trinkwasser ist ohne den Klempner, der die Leitungen instand hält, nicht zu denken. Ebenso wenig können wir uns intakte Kommunen ohne lokale Wertschöpfung, Lohnzahlungen an Arbeitnehmer vor Ort oder stetige Steuerzuflüsse vorstellen.

Was Sparkassen mit ihrem Fokus auf den Mittelstand bewirken, ist im deutschlandweiten Maßstab gut dokumentiert. Was aber fehlt, ist die lokale Illustration dieser naturgemäß abstrakten Zahlen. Diese Lücke wollen wir versuchen, mit folgendem Interview zu schließen. Vor dem Hintergrund einer aktuellen, übergreifenden Bestandsaufnahme der Sparkassen zu ihren Leistungen für die klein- und mittelständische Wirtschaft zeigen wir am Beispiel der Stadt Schwedt, wie dieses Engagement das Leben einer Kommune in einer strukturschwachen Region, gebeutelt von dramatischen demografischen Szenarien, prägt.

Blog UNTERNEHMERIN KOMMUNE (UK):

Schwedt liegt in der wirtschaftsschwachen Uckermark und wird geprägt – das ist eher atypisch für Städte in solchen Regionen – von zwei größeren Unternehmen der Papierindustrie und Erdölverarbeitung. Welche Rolle spielen in Relation dazu die kleinen Produzenten und Dienstleister, wie manifestiert sich das in Zahlen und Fakten, und muss man im Osten den Begriff Mittelstand anders definieren, als im Westen?

Jürgen Polzehl

Jürgen Polzehl:

Der Begriff ist von der EU definiert. Eine Unterscheidung nach alten und neuen Ländern ist dort nicht vorgesehen. In Brüssel wird vielmehr nach Kleinst-, kleinen- und mittleren sowie Großunternehmen unterschieden. Innerhalb dieser Klassifizierung aber gibt es sehr wohl Ost-West-Unterschiede. Die Betriebsdichte, also die Menge der Unternehmen bezogen auf die Einwohnerzahl, liegt in Ostdeutschland bei rund 50 Prozent des Westniveaus. Viel gravierender aber ist der deutlich höhere Anteil der Kleinstbetriebe in den neuen Ländern. Zwei Drittel der ostdeutschen Unternehmen gehören zu dieser Kategorie. Hier fehlt es oft an Eigenkapital. Das behindert die Investitionstätigkeit und wirkt sich negativ auf die Innovationskraft aus. In Westdeutschland gibt es 9,1 Beschäftigte in Forschung und Entwicklung je 1000 Einwohner, im Osten sind es nur 4,5.

Dieser Gesamtfund gilt zunächst auch für Schwedt. Wir haben rund 1650 Gewerbetreibende mit zusammen 12000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Das Gros liegt also in der Größenklasse von 1 – 5 Beschäftigten. Es sind also Kleinstbetriebe.

Im Unterschied zu einer typischen ostdeutschen Stadt verfügt Schwedt aber über mehrere Betriebe, die nach EU-Klassifikation schon Großunternehmen sind: Die Leipa Papierfabrik, die PCK Raffinerie GmbH Schwedt, der Butting Anlagenbau und das Klinikum haben alle zwischen 1100 und 1200 Beschäftigte. Die Petrolchemie und die Papierfabrik sind DDR-Gründungen auf der „grünen Wiese“, die im Gegensatz zu vielen anderen großen Unternehmen aus dieser Zeit auch im geeinten Deutschland erfolgreich bestehen konnten.

80 Prozent Marktanteil der Stadtsparkasse im Mittelstandsgeschäft

UK:

Deutschlandweit sind die Sparkassen für den Mittelstand der wichtigste Finanzdienstleister. Gilt diese Wertung auch für Schwedt, und woran kann man das festmachen?

Jürgen Dybowski

Jürgen Dybowski:

Der Standort Schwedt ist, wie gerade gehört, geprägt von einer Handvoll Großunternehmen und 1650 kleinen und vor allem Kleinstunternehmen. Davon sind 80 Prozent Kunden unserer Stadtsparkasse. Die Großbanken kümmern sich um die Schwergewichte. Das meine ich gar nicht abwertend, denn deren Finanzbedarfe sind für eine Sparkasse, die nach Altvätersitte die Einlagen ihrer Kunden für solide Kreditvergaben verwendet, im Regelfall zu groß.

80 Prozent Marktanteil – das ist schon gewaltig. Aber es ist kein Selbstläufer. Diese zum großen Teil langjährigen Kundenbeziehungen haben wir uns durch Leistung erarbeitet, und sie basieren auf Vertrauen.

UK:

Dieses Engagement betrifft in erster Linie die Kreditvergabe. Was wird über die Bereitstellung von Geld hinaus geleistet, und könnte man die Gesamtheit der Aktivitäten auch Wirtschaftsförderung nennen?

Dybowski:

Natürlich stehen die Kredite im Mittelpunkt. Und sie kompensieren genau die Defizite der Kleinstunternehmen, die der Bürgermeister erwähnt hat: mangelnde Investitions- und Innovationskraft. Zwei Drittel der ausgereichten Mittel fließen für Investitionen und tragen mithin dazu bei, dass die Unternehmen trotz der bestehenden und objektiven Liquiditätsgrenzen stabil am Markt existieren, ja oft sogar deutlich wachsen können.

Ja, wir sehen uns tatsächlich als Wirtschaftsförderer, weit über die Kreditvergabe hinaus. Weil wir im besten Wortsinn mit unseren Kunden leben, wissen wir beispielsweise schon mit großem zeitlichen Vorlauf, wann und wie die Nachfolge geregelt werden muss. Es liegt doch im gemeinsamen Interesse, bestehendes Produktivvermögen zu erhalten. Wenn absehbar ist, dass der Sohn oder die Tochter den Staffelstab nicht übernehmen, dann suchen wir zusammen mit dem Unternehmer nach Lösungen aus dem eigenen Mitarbeiterstamm – das ist klassische Personalentwicklung! Das passiert häufig. Wir beraten aber auch bei Investitionen oder Existenzgründungen.

Schwedter Stadtumbau ohne kommunale Unternehmen und die Stadtsparkasse undenkbar

UK:

Wir haben einleitend versucht, die Aktivitäten der Sparkassen in einen Zusammenhang mit der Daseinsvorsorge zu bringen. Würden Sie dieser Darstellung folgen, und beschreibt sie auch mittel- und längerfristig die Effekte für die Kommune, auch über die harten ökonomischen Fakten hinaus?

Polzehl:

Unsere Wirtschaftsstruktur aus wenigen Großen und vielen Kleinen ist auch deshalb erfreulich stabil, weil sich die Akteure sehr gut ergänzen, und auch weil es – anders als in wirtschaftsstarken Zentren wie in Süddeutschland – zu den vorhandenen Akteuren kaum Alternativen gibt. Dass man aufeinander angewiesen ist, schweißt zusammen und hat maßgeblich zur Etablierung nachhaltig stabiler lokaler und regionaler Wirtschaftskreisläufe beigetragen. Wir reden hier über stattliche drei Jahrzehnte erfolgreicher Standortentwicklung. Unsere Stadtsparkasse steht dafür als Motor und Impulsgeber im Zentrum und hat als 190 Jahre alte Dame (der Geburtstag wird 2020 gefeiert) den Begriff der Nachhaltigkeit – er ist übrigens ganz in der Nähe, in Eberswalde an der dortigen Königlichen Forstakademie von deren erstem Leiter, Wilhelm Pfeil, Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals geprägt worden – sehr modern übersetzt.

Ein Beispiel ist der Stadtumbau, der ohne die Kredite der Stadtsparkasse – seit vielen Jahren bewegt sich das Volumen per anno zwischen 12 und 20 Millionen Euro – nicht vorstellbar wäre. Seit der Wende sind so 4500 neue Wohneinheiten, vorwiegend von Eigenheimbauern, entstanden. Kredite gingen auch an das kommunale Wohnungsunternehmen, das maßgeblich für den Rückbau, aber ebenso auch für die Sanierung der Plattenbauten steht. Das dortige sehr vielfältige Angebot an Wohnungen gerade für junge Familien findet großen Zuspruch. Erfreulich ist die Tendenz, dass die Bewohner auch in den Mehrfamilienhäusern zunehmend Wohneigentum erwerben. Auch hier steht die Stadtsparkasse in der ersten Reihe.

Dank der soliden wirtschaftlichen Entwicklung, des tollen Angebotes an Wohnraum und vielfältigen Angeboten für Sport, Freizeit und Kultur konnte der dramatische Bevölkerungsrückgang seit einigen Jahren auf einem Niveau von rund 30000 Einwohnern gestoppt werden. Am 3. Oktober 1990 lebten noch über 51000 Menschen in unserer Stadt.  Seit geraumer Zeit gibt es mehr Zu- als Wegzüge. Dass die Bevölkerung nicht wächst, liegt an der hohen Sterberate. Auch in Schwedt erhöht sich wie überall in Deutschland das Durchschnittsalter. Umso erfreulicher ist es, dass sich junge Familien In Schwedt ansiedeln. Bei uns gibt  es sichere Arbeitsplätze, eine hervorragende Kinderbetreuung, ein Mehrspartentheater, das sogar Besucher aus Berlin anzieht und kürzlich den Status eines Landestheaters erhielt, eine städtische Musikschule und ein großer Schwimm- und Sportkomplex mit Gästen aus allen Teilen der Uckermark.

Diese ausgesprochen erfreuliche Entwicklung der Stadt Schwedt zum attraktiven Zentrum einer strukturschwachen Region strahlt sehr positiv auf dieses Umland aus. Das ist auch ein Ergebnis unserer leistungsfähigen kommunalen Wirtschaft mit den Stadtwerken und der Wohnungsbaugesellschaft an der Spitze. In unserer Gesamtbilanz steht dafür eine Bilanzsumme von 500 Millionen Euro. Käme die kommunal getragene Stadtsparkasse hinzu, die wir aus bekannten Gründen bilanziell nicht abbilden können, kämen wir auf über eine Milliarde Euro. Das ist gewaltig für eine Stadt mit 30000 Einwohnern und zeigt die überragende Bedeutung der Kommunalwirtschaft in den neuen Ländern.

Gefährdung des soliden Sparkassen-Geschäftsmodells durch Niedrigzinspolitik

UK:

Nicht zuletzt wegen ihrer Verpflichtungen in der Daseinsvorsorge –  also der Pflicht zur Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für Jedermann, selbst wenn es sich im Einzelfall nicht „rechnet“ – leiden die Sparkassen in besonderer Weise unter den Ertragseinbußen infolge der lang anhaltenden Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Ist die Konzentration auf die kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Zusammenhang auch ein Faktor für die wirtschaftliche Stabilität der Institute?

Dybowski:

Da anzunehmen ist, dass uns das niedrige Zinsniveau absehbar erhalten bleibt, werden wir auch als Sparkasse nicht umhin kommen, die Gebühren für die Kontenführung zu erhöhen. Denn es sinken tendenziell auch die Erträge aus Kreditvergaben. Das ist aus ökonomischer Sicht durchaus positiv. Die kleinen – und Kleinstuntenehmen, die wir betreuen, entwickeln sich gut, können Rücklagen bilden und investieren zunehmend mit Eigenkapital.

Angesichts der langandauernden Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank sprechen wir zu Recht über die Verluste bei den Spareinlagen der sogenannten kleinen Leute und der Gefährdung der Altersversorgung. Das allein ist schon sehr bedrohlich. Wir müssen aber auch im Blick haben, dass das grundsolide Geschäftsmodell der Sparkassen ins Wanken gerät. Die Kreditfinanzierung aus den Einlagen ist seit vielen Jahrzehnten der Garant dafür, dass zumindest dieser Teil unseres Dreisäulenmodells – natürlich tragen auch die Genossenschaftsbanken dazu bei – als Stabilitätsanker des gesamten Finanzwesens funktioniert. Ich mag mir nicht vorstellen, was passiert, wenn dieses System dann fast nur noch durch globale und hochspekulative Transaktionen und Produkte geprägt wäre.

UK:

Welche Rahmensetzungen auf Bundes- und EU-Ebene behindern Ihren Auftrag zur Daseinsvorsorge, und trifft dieser Befund für die Sparkassen in Gänze zu?

Polzehl:

Unser Sparkassenvorstand und ich könnten dazu einen mehrstündigen Vortrag halten. Viele der Regeln, die in Brüssel, in Berlin und auch in Potsdam erlassen werden, behindern immer mehr, anstatt zu befördern. Sie sind zu kompliziert, es gibt viel zu viele, und sie sind immer weniger konsistent. Gerade die Kommunen, in denen Fortschritt oder Niedergang entschieden wird, leiden unter dieser ungebremsten Regelungswut. Die Entwicklung in Schwedt zeigt aber doch, dass wir vor Ort am besten wissen, wie Dinge vorangebracht werden können. Daran werden wir zunehmend gehindert. Nur ein Beispiel: Ich hatte begründet, warum Schwedt für Familien mit Kindern so attraktiv ist, und dass wir deshalb viele Zuzüge aus dem Umland haben. Ich höre aber auch von vielen jungen Leuten aus Berlin, dass sie hier gern leben würden. Aber dazu müsste die Bahnanbindung an die Hauptstadt deutlich besser sein. Wir kämpfen um einen 30-Minuten-Takt und eine Ertüchtigung der Trassen. Dann käme man in 45 Minuten nach Berlin-Mitte. Das würde die aus allen Nähten platzende Metropole, die kaum noch bezahlbare Wohnungen anbietet, entlasten, und einem Mittelzentrum an der Peripherie zu weiterem Wachstum verhelfen. Das wäre eine optimale Regionalplanung in einer Metropolregion.

Das Gespräch führte Michael Schäfer

Fazit:

Die Sparkassen gehören – das ist unstrittig – mit ihren elementaren Finanzdienstleistungen wie der Verpflichtung zur Kontenführung für Jedermann in den Kanon der Daseinsvorsorge. Viel zu wenig steht aber im Fokus, dass diese Leistung zwingend an das tradierte (aber keinesfalls „altmodische“) Geschäftsmodell der Sparkassen gebunden ist: Kreditfinanzierung aus den Kundeneinlagen. Das aber ist durch ein Festhalten an der Niedrigzinspolitik ernsthaft gefährdet. Gefährdet aber ist auch – und das wird regelmäßig übersehen – der unverzichtbare Beitrag dieser Geldinstitute in kommunaler Trägerschaft zur mittelständischen Wirtschaftsförderung. Ein Kreditvertrag nach den Regeln von Basel III verursacht für 50 000 Euro nahezu den gleichen Aufwand wie jener für 50 Millionen. Da die „Großen“ sich am Backen der „kleinen Brötchen“ kaum noch beteiligen, bekommt dieses Engagement der Sparkassen für kleine und mittlere Unternehmen immer mehr auch eine existentielle Dimension. Erst recht wegen des objektiven Zwangs zur Etablierung lokaler und regionaler Wirtschaftskreisläufe, die unter der Prämisse der Nachhaltigkeit unverzichtbar sind. In diesem größeren Kontext ist also auch das Mittelstandsengagement der Sparkassen nach meiner festen Überzeugung Teil der existentiellen Daseinsvorsorge.

Michael Schäfer

 

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