Die Demokratie in Deutschland steckt in einer Krise. Ausdruck hiervon sind die wachsende Skepsis der Menschen gegenüber etablierten Parteien oder den Regierungen in Bund und Ländern, die Erstarkung reaktionärer politischer Kräfte und eine sinkende Wahlbeteiligung. Dagegen hegt die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für ihre Kommunalpolitiker noch immer ein gewisses Wohlwollen. Letzteres wird durch eine kürzlich erschienene Studie des Forsa-Instituts bestätigt. Die Menschen mischen sich auf lokaler Ebene schneller ein, weil politisches Handeln hier leichter verständlich ist, und weil es einen direkten Bezug zu ihrem konkreten Lebensumfeld aufweist. Und so erscheint eine stärkere Kommunalisierung als probates Mittel um mehr Akzeptanz von und für Politik zu erreichen.
Kommunale Folgekosten durch Bundesgesetze
Der Großteil der vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetze hat direkte Auswirkungen auf die Kommunen. Leider aber werden die kommunalen Belange in den Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene viel zu selten berücksichtigt. In der Folge verfehlen etliche Gesetze ihre eigentlichen Zielstellungen und bewirken exorbitante Mehrbelastungen für die kommunalen Haushalte.
Schwarze Null
Die nun schon einige Legislaturperioden andauernde Fokussierung der Bundesregierung auf einen ausgeglichenen Haushalt hat in Städten und Gemeinden zu einem signifikanten Investitionsstau bei öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen geführt. „Diese Politik hat gezeigt, dass auf Bundesebene die Antenne für kommunale Belange ein Stück weit schlicht fehlte“, sagt Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange. Beispiele aus der jüngeren Zeit belegen, dass dieser Missstand bis heute fortbesteht.
Gesetze als Kostentreiber
Exempel aus der aktuellen und der vorherigen Legislaturperiode des Bundestages sind die Neuerungen beim Angehörigenentlastungsgesetz, beim Unterhaltsvorschuss oder beim Prostituiertenschutzgesetz. In allen drei Fällen werden die kommunalen Haushalte ungefragt deutlich in Anspruch genommen, was die Kommunen in ihren Handlungsspielräumen spürbar einschränkt und in die kommunale Selbstverwaltung hineinwirkt.
„Die neuen Bundesgesetze sind sicher sinnvoll, sollten aber auch finanziell unterfüttert werden. Die kommunalen Verwaltungsaufgaben, die dadurch ausgelöst werden, sollten vom Bund ausgeglichen werden. Bundespolitik muss Hand in Hand mit der kommunalen Ebene gehen, sonst verfehlt sie ihre Ziele“, so Lange, die bei der Wahl zur SPD-Parteivorsitzenden im April 2018 Andrea Nahles herausforderte und unterlag. Ihre Kandidatur im jüngsten Rennen um den Parteivorsitz hatte sie schließlich zugunsten des Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zurückgezogen.
Seit 2018 wieder ein ordentlicher Ausschuss
Schon seit vielen Jahren hatten sich Vertreter der SPD und anderer Bundestagsfraktionen für die Einrichtung eines Kommunalausschusses engagiert. Dieser sollte sich dezidiert der Aufgabe widmen, kommunale Interessen in den Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene noch stärker zu berücksichtigen. Nachdem es in den vergangenen beiden Legislaturperioden jeweils einen Unterausschuss für Kommunalpolitik gegeben hat, wurde mit Beginn der aktuellen Wahlperiode erstmals seit fast 50 Jahren wieder ein ordentlicher Ausschuss mit Bezug zu den Kommunen eingesetzt.
Während Unterausschüsse lediglich eine beratende und unterstützende Funktion wahrnehmen, dürfen ordentliche Ausschüsse über Fachthemen eigenständig beraten. In diesem Zusammenhang besitzen sie auch ein Informationsrecht gegenüber jenen Ministerien, die für die in Rede stehenden Gesetzesvorhaben zuständig sind. Laut Uwe Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, indiziert der im April 2018 etablierte Ausschusses für „Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen“ eine „höhere politische Anerkennung der kommunalen Interessen“.
Kommunalausschuss in der Kritik
In der Praxis lässt die neugeschaffene institutionelle Vertretung der Kommunen beim Bund jedoch viele Wünsche offen. Kommunale Themen sind stark überlagert von den Schwerpunkten Bauen und Wohnen. Von der ursprünglichen Forderung eines allgemeinen Kommunalausschusses zur Überprüfung sämtlicher kommunalrelevanter Gesetzesvorhaben ist er noch weit entfernt.
Währenddessen verheddert sich die Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ in allerlei Verfahrensfragen, anstatt klare und innovative Handlungsempfehlungen zu geben, so Britta Hasselmann, kommunalpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.
„Man kann gewiss nicht sagen, dass kommunale Themen durch den Kommunalausschuss nun eine andere Relevanz bekommen“, sagt Hasselmann. Es sei gut, dass der Ausschuss etabliert wurde, doch hinsichtlich seiner Ergebnisse solle man ihn nicht überbewerten.
„Der Ausschuss bleibt ein stumpfes Schwert, weil er bei zu wenigen kommunalen Fragen die Federführung erhält, die er bräuchte, um Themen effektiv und zielgerecht zu behandeln“, kritisiert Christian Haase, Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion für Kommunalpolitik. Die eigentlichen kommunalen Themen werden nur mitberatend behandelt, lägen federführend aber in anderen Fachausschüssen.
Kaum Einfluss der Spitzenverbände
Hinzu kommt, dass die kommunalen Interessensverbände nur sehr begrenzt Einfluss auf die Gesetzgebung des Bundes ausüben können – ein Zustand der fraktionsübergreifend auf Kritik stößt. SPD, Linke und Grüne fordern, die kommunalen Interessensverbände frühzeitig in die Gesetzgebung einzubinden. Und sie sollten dort auch eigene Vorschläge machen dürfen.
„Wir haben Anerkennung und Standing im deutschen Bundestag. Das heißt aber natürlich nicht, dass das Parlament in allen Beschlüssen so beschließt wie von den kommunalen Verbänden vorgeschlagen“, so Zimmermann. „Man hört uns regelmäßig an und respektiert uns, aber man folgt uns nicht immer und das kann natürlich auch Konsequenzen haben.“
Kommunale Kompetenz in Fraktionsführung dünn gesät
Eine Kurzrecherche in Kürschners Volkshandbuch „Deutscher Bundestag“ (150. Auflage) zeigt, dass die kommunalpolitische Kompetenz in den Führungszirkeln der sechs Parlamentsfraktionen eher spärlich vorhanden ist.
Gestandene Kommunalpolitiker wie ehemalige Landräte oder Bürgermeister fehlen – laut Kürschner – völlig auf der Ebene der Fraktionsvorsitzenden und ihrer Stellvertreter bei CDU/CSU, SPD, Linken und AfD. Freie Demokraten und Grüne kommen jeweils auf einen ehemaligen Bürgermeister beziehungsweise stellvertretenden Bürgermeister.
Was für die Kommunen aber letztlich entscheidend ist, sind die Aussichten auf mögliche Kompensationszahlungen durch den Bund im Falle von kostentreibenden Bundesgesetzen. Alleine durch das Angehörigenentlastungsgesetz drohen den Städten und Gemeinden unplanmäßige Mehrausgaben von mehreren hundert Millionen Euro, so Haase. Der Bund würde nachfinanzieren, sollten sich die ungeahnten Kosten in drei bis vier Jahren bewahrheiten, sagt der Unionspolitiker.
Kommunale Entlastung durch Bund
Seit Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Jahr 2005, hat es eine lange Reihe von Maßnahmen gegeben, wo der Bund speziell für die Kommunen Erstattungen und Förderprogramme aufgelegt hat, um deren Haushalte zu entlasten. Das ist auf jeden Fall ein Trend, sagt René Geißler, langjähriger Experte für Kommunalfinanzen bei der Bertelsmann Stiftung. Dennoch sind die Hilfen zumeist temporär und bieten keine vollständige Kompensation.
„Auch wenn der Bund großzügig war und Erstattungen sowie Anschubfinanzierungen geleistet hat, deckt dies immer nur einen Teil der Kosten und ist oft nur befristet“, so Geißler. „Das strukturelle Grundproblem bleibt.“
Keine Angaben zu kommunalen Folgekosten
Genaue Angaben zu Schätzungen der kommunalen Folgekosten von Bundesgesetzen existieren nicht, sagt Geißler. Eine Erhebung dieser Zahlen wäre auch schwierig und käme einem Paradigmenwechsel gleich, da die Länder und nicht der Bund für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Kommunen zuständig sind.
Fachlichen Rat zu kommunaltechnischen Aspekten der Gesetzgebung nimmt die Politik noch auf, aber beim Geld stoßen die Einwände der kommunalen Spitzenverbände meist auf taube Ohren. Auf die Frage, wie oft der Kommunalausschuss bei Anhörungen den Verbänden folgt, sagt Haase: „Die fachliche Expertise wird sehr stark gehört. Hier gibt es gute Einflussmöglichkeiten. Bei finanziellen Fragen ist das natürlich schwieriger.”
Gefahr für Demokratie
„Wenn diese Ebene nicht funktioniert, weil beispielsweise Ressourcen fehlen oder weil die Entscheidungsspielräume zu gering sind als dass Auswirkungen sichtbar werden, dann entsteht natürlich Frustration und Demokratieverdrossenheit“, sagt Wolfgang Pohl, Referent für Kommunale Bildungsprogramme in der Heinrich-Böll-Stiftung. „Das ist für mich eine der größten Gefahren, die mit der Vernachlässigung kommunaler Belange einhergehen kann.“
Fazit
Die Kritik der kommunalen Spitzenverbände an den Folgekosten von Bundesgesetzen ist berechtigt, bleibt aber leider meist ungehört. Grundsätzlich geht die Verfassung davon aus, dass die Länder die kommunalen Belange mitvertreten. Dies funktioniert in der Realität allerdings nur begrenzt. Nicht selten befinden sich beide Ebenen in einer antagonistischen Position, insbesondere dann, wenn es um finanzielle „Segnungen“ des Bundes oder der EU geht. Umso wichtiger wäre es, auch für Bundesgesetze eine Konnexitätsregelung einzuführen, wonach die finanziellen Auswirkungen für die Kommunen zwingend ausgeglichen werden müssen. Bislang gibt es dies nur auf Länderebene. Zudem erscheint eine weitere Lockerung des Kooperationsverbotes durchaus sinnvoll, um den sprichwörtlich „klebrigen Händen“ der Landesverwaltungen zu entgehen. Wenn Gelder für einen bundesgesetzlich bestimmten Zweck direkt den Kommunen zufließen sollen, dann braucht es die Länder als Relaisstation nicht. Insgesamt bleibt der neue ständige Bundestagsausschuss den Beweis schuldig, dass er als effektives Instrument zur Durchsetzung kommunaler Interessen taugt.