2022 Nobelpreis. 2023 auf dem Titel

Im Jahr 2022 bekam Annie Ernaux den Nobelpreis für Literatur. Ein Jahr später ist sie auf dem Titel der Ausgabe 2024 des Aufbau Literaturkalenders. Das kommentiere ich als einer der größten Fans des Klassikers aus dem Hause Aufbau wie folgt:

Die Macher sind aktuell. Wirklich gute Literatur hat auch etwas Ewiges. Aber das ist nicht statisch. Sonst hätten wir nur Homer, Shakespeare, Goethe und Tolstoi in unseren Bücherschränken.

Die Preise, die die die schwedische Akademie vergibt, erweitern genau in diesem Sinne unseren Kanon. Annie Ernaux steht seitdem in meinem Bücherschrank. Mit John Fosse, dem diesjährigen Preisträger, wird es ähnlich sein. Ich kannte gerade einmal seinen Namen. Nicht einmal als Buchautor, sondern als Dramatiker. 2021 wurde im Deutschen Theater, in den Kammerspielen, sein neues Stück, „Starker Wind“, aufgeführt. Im „DT“ bin ich Stammgast. Ich habe auch diese Inszenierung gesehen. Besonders begeistert war ich nicht. Aber nach dem Nobelpreis werde ich mich an einem Buch von ihm versuchen. Ob ich damit zu seinem Fan werde, ist nicht sicher.

Dass die Preise in Stockholm nach Kriterien vergeben werden, die nicht nur an künstlerischer Meisterschaft orientiert sind, hat sich herumgesprochen. Auch politische Motive und neuerlich auch die Geschlechtergerechtigkeit scheinen bei der Auswahl eine Rolle zu spielen. Bei Herta Müller, Preisträgerin im Jahr 2009 vermutlich gar Beide.

Das ist sehr schade. Erinnern Sie sich an die Spekulationen vor der diesjährigen Verkündigung des Preisträgers? Fast jeder „Prophet“ des deutschen Feuilletons meinte, es sei mal wieder eine Frau „dran“. Begründung? Nicht etwa die Meisterschaft im Umgang mit der Sprache, es war die Geschlechterstatistik:

„Der Nobelpreis für Literatur wird seit 1901 jährlich vergeben. Seit der ersten Verleihung haben insgesamt 119 Literaturschaffende den Nobelpreis erhalten. Darunter befinden sich 102 Männer (85,7 %) und 17 Frauen (14,3 %).

Insgesamt wurden bisher 30 englischsprachige Personen mit dem Preis ausgezeichnet, gefolgt von Französisch (15 Preisträger) und Deutsch (14)“. (Wikipedia)

Nun wurde es doch ein Mann. Gar einer, der sich eindeutig zu seinem biologischen Geschlecht bekennt. Die schwedischen Juroren sollten in sich gehen. Übrigens, 1,4 Milliarden Menschen sprechen (und schreiben) chinesisch… Noch nie aber ging der Preis nach China. Aber achtmal nach Schweden. Das Land hat rund 10 Millionen Einwohner, aber ist die Heimat der Akademie, die den Preis vergibt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Solche schrägen Gedanken mache ich mir beim Aufbau Literatur-Kalender nicht. Für mich ist er nun schon seit Jahrzehnten der Kompass bei meinen literarischen Entdeckungsreisen. Was im Kanon von Marcel Reich-Ranicki steht, haben wir im Bücherschrank. Aber der zu Lebzeiten wohl einflussreichste deutsche Literaturkritiker lebt nicht mehr. Gestorben ist er am 18. September 2013. Ich kann mich – obwohl ich medial sehr intensiv unterwegs bin – nicht erinnern, dass jemand an seinen zehnten Todestag gedacht hat….

Ranickis Kanon ist geschlossen. Aber der Aufbau-Literaturkalender lebt. Er liegt vor mir auf dem Schreibtisch. Ich habe gerade einmal durchgezählt, wieviel Dichternamen auf den Kalenderblättern mir geläufig sind. Genau 10. Zusammen mit der Titel-„Heldin“ Anni Ernaux sind das Johannes Mario Simmel, William Somerset Maugham, Christoph Hein, Alexandre Dumas, Erich Kästner, James Baldwin, Caspar David Friedrich, Ulrich Plenzdorf und Joseph Conrad.

 

Ganz wichtig, dass der Jahrgang 2024 dafür sorgt, dass große Literatur nicht ins Vergessen gerät. Die Generationen nach mir streamen doch nicht nur. Manche lesen auch noch. Aber wenn ich die nach den deutschen Literatur-Nobelpreisträgern frage, kommt in der Regel betretenes Schweigen.

Von den zehn Dichtern im Jahrgang 2024, die ich kenne, habe ich auch deren Bücher gelesen. Von Caspar David Friedrich kenne ich die Bilder. Im Aufbau-Kalender steht er mit einer „Äußerung bei der Betrachtung einer Sammlung von Gemälden“. Ich vermute, dass sich die Macher etwas dabei gedacht haben.

Gut auch, dass mit der Platzierung im Kalender auch Schriftsteller „hoffähig“ gemacht werden, deren Werke zu Unrecht als Trivialliteratur diffamiert wurden. Dafür stehen Simmel und Maugham, denen ich ebenso spannende wie unterhaltsame Lesestunden verdanke.

Erich Kästner steht bei mir ganz oben. Er ist gerade wieder auf der Leinwand. Meine achtjährige Enkeltochter Soana hat sich beim letzten Kinobesuch bei der Vorschau auf neue Filme nachdrücklich dafür entschieden, dass Opa mit ihr „Das fliegende Klassenzimmer“ anschaut. Wenn’s ihr gefällt, werde ich ihr demnächst die Buchvorlage in die Hand drücken. Das Kind ist nämlich eine Leseratte – oder müsste ich nicht -rättin schreiben?

Ganz wichtig, dass mit dem Jahrgang 2024 neuerlich daran erinnert wird, dass der Kanon guter Literatur mit dem Ableben von Marcel Reich-Ranicki nicht beendet ist. 42 Namen kannte ich nämlich noch nicht. Deshalb renne ich jetzt nicht gleich los, um diverse Bestellungen bei meiner Gutenberg-Buchhändlerin gleich um die Ecke aufzugeben. Denn mit den Neulingen befasse ich mich erst dann gründlich, wenn ihre Zeit – im wahrsten Sinne des Wortes – gekommen ist. Die erste wird Maeve Brennan sein. Sie schmückt das erste Blatt in der ersten Kalenderwoche. Die Autorin wurde 1917 als Tochter eines IRA-Kämpfers in Dublin geboren. Sie war 17, als sie mit ihrer Familie in das für viele Iren gelobte Land, die USA, übersiedelte. Mit ihren Erzählungen erlangte sie leider erst postum zu Weltruhm. 1993 starb sie vereinsamt und verarmt in New York.

Der Aufbau Literatur-Kalender 2024 ist auf dem Büchermarkt. Lassen Sie sich entführen. In neue literarische Welten. Und machen Sie bitte – so wie ich – ihre eigene Statistik: kenne ich, kenne ich nicht! Ich bin mir sicher, Sie bekommen neue Impulse. Hoffentlich haben Sie noch Platz in Ihren Bücherregalen.

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