Umsatzsteuerprivileg

Entsorgung
Anstalten des öffentlichen Rechts sind insbesondere in der Abfallwirtschaft noch immer recht häufig anzutreffen. Foto: Ropable

Hoheit, Markt und Wettbewerb

Die Kommunen und ihre Unternehmen haben spätestens seit Mitte der 1990er Jahre einen erheblichen Professionalisierungsschub durchlaufen. Während vor der Liberalisierung der Energiemärkte nahezu sämtliche Auguren ein weitflächiges Stadtwerkesterben voraussagten, wurden die kommunalen Unternehmen nur etwas mehr als zehn Jahre danach – beispielsweise von der Kanzlerin – zu den Vorreitern der Energiewende ausgerufen. Möglicherweise waren beide Zuschreibungen etwas extrem, liegt die Antwort auf die Frage nach der spezifischen Effizienz und Innovativität kommunaler Unternehmen irgendwo in der Mitte. Kaum jemand wird jedoch den grundlegenden Trend bestreiten, dass sich Stadtwerke & Co. mittlerweile zu ernstzunehmenden Mitbewerbern und potenten Unternehmen gemausert haben. Zu dieser Wahrheit gehört aber auch die Erkenntnis, dass der Druck eines freien Marktes offenbar die nötigen Impulse für diese positive Entwicklung gesetzt hatte. Beispielsweise die großen Stadtwerke dieses Landes, aber auch einige kommunalisierte Regionalversorger, gehören zu den zentralen Akteuren auf den deutschen Energiemärkten, engagieren sich auch außerhalb der eigenen Gemarkungen. Dieses geographische Wachstum oder auch die Ausweitung des Leistungsportfolios werden vehement diskutiert. Öffentliches bzw. kommunales wirtschaftliches Engagement steht in einer freien Marktwirtschaft notwendigerweise unter einem besonderen Legitimationsdruck, ist untrennbar verbunden mit dem dynamischen Konzept der Daseinsvorsorge bzw. dessen Begrenzungen. Aktuell scheint sich die Sichtweise durchgesetzt zu haben, dass die Schranken der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung in einem wettbewerblichen Umfeld deutlich weiter zu ziehen sind, als bei hoheitlichen Aufgaben. Vermieden werden soll aber, dass Kommunen und ihre Unternehmen auf dem einen Feld Monopolgewinne einsammeln, um diese dann zur Stärkung ihrer Wettbewerbsposition zu nutzen. Nicht zuletzt hat sich gezeigt, dass die rein formelle Privatisierung – also die Umwandlung eines Kommunalbetriebes in eine unabhängige GmbH oder AG – vielerorts die Basis für eine wirtschaftliche Erfolgskurve lieferte.

Das Spannungsfeld aus Daseinsvorsorge, Wettbewerb und Regulierung ist hochkomplex und so soll bisher Gesagtes noch einmal prägnant zusammengefasst werden. Ja. Die kommunale Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden und so hat auch der aktuelle Rekommunalisierungstrend eine gewisse Bewandtnis. Voraussetzung war jedoch meist, dass die kommunalen Unternehmen mit der privaten Rechtsform auch die Logiken des Marktes für sich akzeptierten. Und unter dieser Prämisse eines wettbewerblichen Umfeldes erscheint es auch nachvollziehbar, wenn sich Unternehmen mit mehrheitlich kommunalen Gesellschaftern auch abseits der eigenen Gemarkungen und Versorgungsaufträge engagieren. Im Grundsatz geht es also nicht um privat vs. öffentlich, sondern um den Antagonismus zwischen Monopol und Wettbewerb. In diesem, im Sinne der Kommunen, recht liberalen Paradigma wären private und öffentliche Unternehmen gleichberechtigte Mitbewerber in umkämpften Märkten. Und tatsächlich ist vielen interessierten Beobachtern gar nicht bewusst, dass viele erfolgreiche Unternehmen eine öffentliche Provenienz aufweisen. Vattenfall etwa ist eine hundertprozentige Tochter des schwedischen Staates, RWE gehört immerhin zu annähernd zehn Prozent den beiden Städten Essen und Dortmund, an EnBW halten ein Konsortium baden-württembergischer Kommunen sowie das Land Baden-Württemberg jeweils etwas weniger als 50 Prozent der Anteile, Trianel, Steag, Gelsenwasser, die EWE oder auch die Thüga AG haben als kommunale Konsortien ihre Aktivitäten über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus erweitert. Und so ließen sich zahlreiche weitere Beispiele anführen, wie kommunale Unternehmen erfolgreich reüssieren und damit zu einem florierenden Wettbewerb beitragen.

Gebot der Fairness

Akzeptiert man diese Prämisse, dass teilweise oder mehrheitlich öffentliche Unternehmen ihren Anteil an der Funktionsfähigkeit von Versorgungsmärkten leisten, muss im Sinne der Fairness aber auf gleichberechtigte Ausgangsbedingungen geachtet werden. Selbstverständlich verbleiben gewisse Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Gesellschafter. Der vermeintliche kommunale Finanzierungsvorteil, der steuerliche Querverbund und weitere Stichworte ließen sich in diesem Zusammenhang diskutieren, doch im Grundsatz bewegen sich beide Seiten auf einem ausgeglichenen Spielfeld. Das liegt nicht zuletzt an der gemeinsamen Klammer einer privaten Rechtsform, die beispielsweise im Energiesektor bei fast allen Unternehmen anzutreffen ist.

In anderen Sparten der Daseinsvorsorge – etwa in der Entsorgung – dominieren hingegen auf kommunaler Seite noch immer öffentlich-rechtliche Gesellschaftsformen, vor allem die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). Diese wurde dereinst eingeführt, um die kommunalen Eigenbetriebe einerseits effizienter steuern zu können, ihnen aber andererseits einen größeren Handlungsspielraum einzuräumen. Strukturell lässt sich die AöR daher als öffentlich-rechtliches Pendant zur GmbH beschreiben, allerdings verfügt sie noch immer über verschiedene, dem öffentlichen Recht innewohnende Privilegien. So darf sie sich hoheitlich betätigen und eigene Satzungen – etwa zum Anschluss- und Benutzungszwang – erlassen. Zudem lassen sich kommunale Aufgaben einfach auf die AöR delegieren, ohne dass eine formelle Beauftragung vorliegen muss. Und zu guter Letzt wurden AöRs zumindest bislang steuerlich wie Eigenbetriebe behandelt, fällt insbesondere keine Umsatzsteuer an, was auf Wettbewerbsmärkten einem immensen Bilanzvorteil in Höhe von 19 Prozent gleichkommt.

Für sämtliche Bereiche, die im Grundsatz auch anderen Interessenten offenstehen, verbindet sich damit eine massive Wettbewerbsverzerrung und so meldet insbesondere der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft recht vehementen Widerspruch an. Dessen Präsident, Peter Kurth, schrieb schon im Januar 2016 einen öffentlichen Brief an den damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und verglich die kommunale Steuervermeidung mit der Flucht großer Unternehmen in ausländische Steueroasen. Darüber hinaus wies Kurth darauf hin, dass die übergroße Mehrheit der EU-Staaten die Besteuerung von öffentlichen Unternehmen mittlerweile anders regele. Auf der anderen Seite stehen die kommunalen Spitzenverbände inklusive des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Hier wird darauf verwiesen, dass die Rechtsform der AöR eine erhebliche Professionalisierung der öffentlichen Versorgungswirtschaft bewirkt hätte und dass etwaige Neuregelungen ungewollte Impulse hin zu einer Re-Integration in Eigenbetriebe oder in die Kernverwaltung setzen würden. Beide Positionen erscheinen nachvollziehbar und das Bundesfinanzministerium sah sich nun einem verstärkten Regelungs- aber auch Vermittlungsdruck ausgesetzt. Der Ende 2016 verabschiedete § 2b des Umsatzsteuergesetzes sieht nun vor, dass sämtliche Anstalten öffentlichen Rechts grundsätzlich einer Umsatzsteuerpflicht unterliegen und dass von dieser Regelung nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann, wenn erwiesenermaßen keine negativen Folgen für einen gleichberechtigten Wettbewerb resultieren. Sinngemäß wurde aus der Regel also eine Ausnahme definiert. Nun muss nachgewiesen werden, dass auf den entsprechenden Märkten keine Konkurrenzbeziehungen bestehen und dass etwaige Mitbewerber nicht beeinträchtigt werden. Nun heißt es, dass – sobald eine Tätigkeit nicht aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Satzung erbracht wird – eine umsatzsteuerbare Leistung vorliegt. Und selbst wenn die Leistung auf einer öffentlich-rechtlichen Grundlage beruht, fällt sie dann in den unternehmerischen Bereich, wenn sie aufgrund privatrechtlicher Handlungsformen – also beispielsweise in Vertragsform – definiert ist. Damit unterliegen auch Amtshilfen einer grundsätzlichen Umsatzbesteuerung, wenn es sich nicht um originäre hoheitliche Aufgaben handelt oder nachgewiesen werden kann, dass zum einen ein öffentliches Interesse besteht und zum anderen eine Wettbewerbsverzerrung ausgeschlossen werden kann. Ursprünglich sollten diese neuen Richtlinien bereits mit Beginn des Jahres 2021 in Kraft treten. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie und der entsprechenden Belastungen für die Kommunen wurden sie jedoch um zwei Jahre verlängert.

Impulse richtig nutzen

Die Kommunen müssen sich also alsbald mit den entsprechenden Änderungen auseinandersetzen und sie hätten das bestenfalls schon getan. Denn es kann auch nicht sein, dass eine getroffene Gesetzesänderung allein aus Rücksichtnahme mehr als fünf Jahre nach Inkrafttreten noch immer nicht implementiert wird. Nun argumentieren die kommunalen Spitzenverbände, dass damit eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung einhergehe und insbesondere die interkommunale Kooperation erschwert werde. Das erste mag stimmen. Doch für diesen Umstand sollten keinesfalls private Konkurrenten mit Wettbewerbsnachteilen büßen müssen. Schließlich wird auch umgekehrt ein Schuh draus. Wenn Steuern verlorengehen bzw. vermieden werden, sinkt das Potential für eine angemessene finanzielle Ausstattung öffentlicher Institutionen – von der kleinen Gemeinde bis hin zu den Bundesbehörden. Es kommt in der kommunalen Debatte deutlich zu kurz, dass den öffentlichen Finanzen insgesamt aus der derzeitigen Regelung ein Nachteil erwächst. In diesem übergreifenden Maßstab entspricht die derzeitige Verfahrensweise dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“. Auch wenn dies die einzelne Kommune nicht notwendigerweise umtreiben muss und eine selbstbewusste Vertretung der eigenen Interessen absolut legitim ist, verdient dieser simple Umstand in der allgemeinen politischen Debatte eine stärkere Würdigung.

Und die interkommunale Kooperation sollte nicht per se der Steuervermeidung dienen. Genauso wenig wie die Rechtsform der Anstalt öffentlichen Rechts. Vielmehr geht es darum, die Leistungserbringung vor dem Hintergrund vielerorts schwieriger werdender Rahmenbedingungen möglichst effizient zu organisieren. Demografie, Digitalisierung oder die vielschichtigen Herausforderungen von Ökologie und Nachhaltigkeit sollten der Treiber sein, mögliche Kooperationspotentiale möglichst vollständig auszuloten. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Kommunen unter sich, sondern auch für privatwirtschaftliche Unternehmen. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Impulse für Interaktion und Vernetzung nicht mehr nur auf ein Segment beschränkt bleiben.

Und im Grundsatz haben die Erfahrungen aus der Energiewirtschaft gezeigt, dass kommunale Unternehmen auch ohne gravierende Privilegien auf umkämpften Märkten reüssieren können.

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