Corona und die Kommunen
Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht beendet. Womöglich können wir uns bei Beibehaltung der geltenden Vorgaben eine kurze sommerliche Atempause sichern, in Richtung Herbst und Winter droht jedoch eine neuerliche massive Belastung. Das muss nicht sein und eine solche Entwicklung soll gewiss nicht beschrien werden, leider aber deuten einige Indizien darauf hin. Es ist vielleicht die schlimmste von vielen schlimmen Facetten der Krise, dass ein Ende nicht absehbar ist. So oder so werden insbesondere die Kommunen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangen. Dies ist jene politische Ebene, auf der Politik und überstaatliche Entscheidungen in die unmittelbare Praxis umgesetzt werden. Hier entscheidet sich, ob auch in schwierigen Zeiten eine gute Gesundheitsversorgung gewährleistet bleibt, ob der Infektionsschutz im öffentlichen Raum gesichert ist und ob die essentiellen Bedürfnisse des täglichen Lebens weiterhin angemessen bedient werden. Die Krankenhäuser, die Gesundheitsämter, die Rettungsdienste oder der ÖPNV liegen in unmittelbarer Verantwortung der Kommunen. Und auch der Betrieb von Schulen und Kitas oder die polizeiliche Arbeit besitzen konkrete kommunale Implikationen. Und nicht zuletzt ist im Rahmen der Krise ein rasanter Anstieg der Sozialausgaben zu erwarten.
Diesen wachsenden Aufwänden stehen absehbar deutlich sinkende Gewerbesteuereinnahmen entgegen, denn insbesondere die regionale mittelständische Wirtschaft wird 2020 spürbar geringere Gewinne realisieren als in den Jahren zuvor. Darüber hinaus fehlen Einnahmen aus dem Betrieb von Sportstätten, Bädern, Museen, Theatern und vielem weiteren mehr. Die betrieblichen Kosten laufen jedoch munter weiter. Und das sollen sie auch, denn die Kommunen sind mehr als andere gefragt, bestehende Strukturen über den Scheitelpunkt der Krise zu retten.
Die systemrelevanten Berufe wurden in den vergangenen Monaten vollkommen zurecht intensiv gewürdigt und manchmal wünschte man sich, dass diese öffentliche Wertschätzung sich alsbald in Heller und Pfennig ausschlagen wird. Wenn von Systemrelevanz gesprochen wird, ist die Daseinsvorsorge ein nennenswerter Teil davon und die Kommunen wie auch einige Privatunternehmen zeigen seit Jahren, wie sich hohe Arbeitnehmerstandards auch in der Ver- und Entsorgungswirtschaft aufrechterhalten lassen. Klar ist aber auch, dass insbesondere die Stadtwerke in vielen Kommunen nicht mehr den gewohnten Zuschuss zum jährlichen Haushalt leisten werden. Hier geht es vielmehr darum, Verluste zu vermeiden, um sich weiterhin proaktiv auf den Märkten orientieren zu können.
Gemeinsam durch die Krise
Diese fatale Mischung aus übergroßer Belastung und ausgeprägter systemischer Relevanz musste sich nachgerade in einem umfangreichen Hilfspaket für die Kommunen niederschlagen. Das sind gewiss keine Almosen, sondern sinnvolle Investitionen in die Basis unseres Gemeinwesens. Aufgrund der Dringlichkeit der Situation entfiel weitgehend der übliche Verteilungskampf der Institutionen und politischen Ebenen. Es war schön zu erleben, wie die kommunalen Spitzenverbände einerseits auf überzogene Forderungen verzichteten und wie andererseits in der Bundesregierung auf die besonderen Herausforderungen eingegangen wurde. Herausgekommen ist eine Einigung, mit der beide Seiten gut leben können. Einstweilen zumindest, solange die Fallzahlen nicht wieder in die Höhe schnellen und das öffentliche Leben erneut zum nahezu totalen Stillstand gebracht werden muss.
Der Leipziger Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, hatte die getroffene Einigung ausdrücklich gelobt, als „beeindruckendes Signal, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu sichern.“ In der Sache geht es vor allem um den Ausgleich der Gewerbesteuerverluste, die mit vermutlich etwa 25 Prozent als äußerst gravierend anzusehen sind. Der Bund will mit 11,8 Milliarden Euro die Hälfte der prognostizierten Mindereinnahmen kompensieren und die Länder die andere Hälfte. Somit bleibt gesichert, dass die Kommunen weiter investieren können. Und das ist auch dringend notwendig, denn die anderen Herausforderungen wie die Digitalisierung, der demografische Wandel oder die unabdingbare Wende zur Nachhaltigkeit machen wegen Corona keine Pause. Dass es bei den Aufwänden im sozialen Bereich eine Entlastung gibt, ist ebenfalls dringend geboten. Hier will sich der Bund im Umfang von vier Milliarden Euro deutlich stärker an den Kosten der Unterkunft sowie an der Grundsicherung für Arbeitssuchende beteiligen. Die Länder sollten nun den Weg frei machen für eine entsprechende grundgesetzliche Lockerung des Kooperationsverbots. Der besagte Passus steht ja nicht grundsätzlich infrage, sondern nur in Bezug auf die definierten Sozialleistungen. Inmitten der Corona-Krise ist ganz sicher nicht die Zeit für übermäßige Prinzipienreiterei, doch die ständige Debatte über das Kooperationsverbot ist ein Indiz, dass die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern sowie zu den Kommunen auf eine verlässlichere Grundlage gestellt werden sollten.
Effizienzen und Synergien
Es macht ein wenig Sorge, wenn nun von allen Seiten erhebliche Bedarfe mit wachsender Vehemenz vorgebracht werden. Nicht nur bundesweit, sondern auch im Rahmen der Europäischen Union. Und wenn die Corona-Krise die schwächeren Volkswirtschaften dieses Globus weiter destabilisiert, wird Deutschland wieder gefragt sein, gemäß seinen Potentialen helfend einzugreifen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den politischen Ebenen, verschiedenen sozialen Schichten, gesellschaftlichen Gruppen und öffentlichen Institutionen. Und mit besonderer Berechtigung reklamieren die Arbeitnehmer in diesem Land sowie die Unternehmen, dass Rücksicht genommen und gegebenenfalls Hilfe geleistet wird. Denn hier wird das Geld erst erwirtschaftet, welches der Staat in manchmal gönnerhafter Pose verteilt. Es wäre begrüßenswert, wenn jeder individuelle oder auch körperschaftliche Akteur, quasi jedwede juristische Person, vor der Geltendmachung von Ansprüchen diese einer kritischen Bestandsaufnahme dahingehend unterziehen würde, ob sie ausreichend begründet sind und nicht auch von selbst ausgeglichen werden können. Doch leider liegt eine solche Verhaltensweise nicht in der systemischen Logik einer Verteilungsökonomie. Denn im schlechtesten Fall schadet man sich doppelt, erhält weniger Zuwendung und stärkt den weniger moralischen Mitbewerber. Wie in allen großen Krisen ist aktuell wieder der Staat gefragt, doch derartige Zusammenhänge verdeutlichen auch die Fallstricke einer gelenkten Wirtschaft. Wichtig wird sein, möglichst schnell Instanzen und Methodiken zu implementieren, mit denen sich die staatlichen Hilfen auf Berechtigung und ökonomische Sinnhaftigkeit evaluieren lassen. So wäre es beispielsweise fatal, wenn bei ohnehin schon schwankenden Unternehmen der Gang in die Insolvenz mit teuren Staatsgeldern lediglich verzögert würde. Und natürlich muss gerade in der Krise darüber nachgedacht werden, wie Einspar- und Effizienzeffekte realisiert werden können.
In Bezug auf Letzteres geraten die Potentiale von Kooperationen und von angemessenen Standards ins Blickfeld der öffentlichen Debatte. Wenn wir nicht wollen, dass die Belastungen lediglich in kommende Generationen fortgeschrieben werden, müssen wir sämtliche Posten auf der Ausgabenseite einer kritischen Prüfung unterziehen. Die Kommunen selbst votieren seit Jahren dafür, dass rechtliche Vorgaben auf ihren tatsächlichen Nutzwert hin untersucht werden. Denn allzu sehr wird auch die kommunale Wirtschaft durch eine Vielzahl von Vorgaben in ihrer Entfaltung begrenzt. Auf der anderen Seite sind die Kommunen selbst gefragt, Effizienz- und Synergiepotentiale zu nutzen. Hier kommen kooperative Ansätze ins Spiel. Der aktuelle Trend der Rekommunalisierung fußt zum einen in der erfolgreichen Professionalisierung der öffentlichen Versorgungswirtschaft, zum anderen aber auch darin, dass sich maßgebliche Teile des privaten Sektors im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise diskreditiert haben. Insofern hat die Stärkung des kommunalen Engagements durchaus seine Bewandtnis und ist – sofern sie dem Wettbewerb dient – grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass auch private Unternehmen seit Jahrzehnten ihren Anteil leisten, Daseinsvorsorge innovativer, kundennäher und effizienter zu organisieren. Gerade in der aktuellen Situation wäre es verheerend, wenn diese Unternehmen übergangen würden und die Rekommunalisierung zunehmend zu einer Atomisierung von Strukturen beitragen würde.
Es kann nicht im Sinne der Sache sein, wenn vor dem Hintergrund enormer Herausforderungen und einer stetig wachsenden Komplexität die Tendenz zu immer kleineren Einheiten vorherrscht. Dezentralisierung und Subsidiarität sind im Grundsatz zu begrüßen, doch auch hier sollten Maß und Mitte gewahrt bleiben. Die Antwort auf dieses theoretische Dilemma könnte in übergreifenden Plattformen bestehen. Indem sich Kommunen untereinander zusammenschließen und beispielsweise Back-Office-Prozesse, die IT oder Forschung und Entwicklung gemeinsam organisieren und diesbezüglich ihr Know-how bündeln. Die Unabhängigkeit bliebe gewahrt und kundenseitig könnten die Unternehmen authentisch auftreten. Als Partner kämen etablierte Daseinsvorsorgeunternehmen infrage. Ob diese nun eine privatwirtschaftliche oder eine kommunale Provenienz aufweisen, sollte dabei weniger eine Rolle spielen, als die Frage, ob und wie sie sich in den vergangenen Jahren bereits bewährt haben.
Beide Seiten der Bilanz
Die Corona-Krise hat wieder einmal gezeigt, dass das im Kern recht billige Klischee von öffentlicher Behäbigkeit, Ineffizienz und Mauschelei im Jahre 2020 nicht mehr allzu pauschal kolportiert werden sollte. Das ändert aber nichts daran, dass es gerade die enormen Aufwände zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen verlangen werden, noch stärker nach Perfektion zu streben. Da geht es den Kommunen nicht anders, als dem gesamten Land. Wir alle miteinander sind gefragt, die sprichwörtliche Zitrone möglichst vollständig auszupressen. Allerdings werden sich allein auf diese Weise die nun ausgehandelten enormen Beträge nicht refinanzieren lassen. Und es kann auch nicht die Lösung sein, die Lasten auf die kommenden Generationen zu verteilen. Die werden schon genug mit dem demografischen Wandel, der daraus folgenden Rentenfrage und mit den gravierenden Auswirkungen des Klimawandels zu tun haben.
Und angesichts dieser beiden Prämissen wird sich das Corona-Problem nicht allein auf der negativen Seite der Bilanz lösen lassen. Selbstverständlich muss bald eine Debatte darüber einsetzen, wie sich die öffentlichen Finanzen stärken lassen ohne dafür eine möglichst schnelle Erholung der Wirtschaft zu gefährden. Eine Corona-bedingte Einmalabgabe seitens der bessergestellten Haushalte wäre ein solches Instrument. Zudem sollte der deutsche Staat auch private Initiativen fördern, die freiwillig ihren Beitrag leisten und andere zu selbigem motivieren wollen.