Frauen in Politik und Gesellschaft

Die 34jährige Sanna Marin war bei ihrem Amtsantritt im Dezember 2019 nicht nur die jüngste Ministerpräsidentin Finnlands, sondern auch die jüngste Regierungschefin weltweit.

Frauen in Politik und Gesellschaft

Finnland war das erste europäische Land, in dem das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde. Das war 1906. Allerdings war Finnland seinerzeit noch ein Großfürstentum des Russischen Zarenreiches, sodass Norwegen als erster unabhängiger europäischer Staat mit Frauenwahlrecht gelten muss. Wenig später folgten Dänemark, dann ganz Russland, die Niederlande und schließlich auch das Vereinigte Königreich. Im Ergebnis des Ersten Weltkrieges wurden in zahlreichen weiteren Staaten Frauen zur Wahl zugelassen. Dies betraf etwa das Deutsche Reich, Polen, Österreich oder die Tschechoslowakei. Danach waren Schweden, Spanien und die Türkei an der Reihe. Die Französinnen, die Belgierinnen und die Italienerinnen mussten hingegen erst noch den Zweiten Weltkrieg abwarten, ehe sie das passive und aktive Wahlrecht genießen durften. 1984 war Liechtenstein das letzte europäische Land, in dem das allgemeine Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Das war ziemlich genau 150 Jahre nachdem auf der noch immer dem britischen Empire zugehörigen Südseeinsel Pitcairn erstmals Frauen über die Geschicke ihres jeweiligen Landes bzw. Territoriums abstimmen durften.

Die nordeuropäischen Staaten zeichneten sich offenbar schon damals durch eine besondere Progressivität aus. Und sie stellen bis heute die Avantgarde auf dem Weg zur völligen Gleichstellung. Die Norwegerin Gro Harlem Brundtland gehörte zu Beginn der 1980er Jahre zusammen mit Margaret Thatcher und Maria de Lourdes Pintasilgo in Portugal zu den ersten Regierungschefinnen Europas. Die Isländerin Vigdis Finnbogadottir hält mit ihrer sechzehnjährigen Amtszeit zwischen 1980 und 1996 noch immer den Rekord des am längsten regiert habenden, demokratisch gewählten, weiblichen Staatsoberhauptes der Welt. Und auch aktuell werden vier der fünf nordeuropäischen Staaten von Frauen regiert – Katrin Jakobsdottir in Island, Erna Solberg in Norwegen, Mette Frederiksen in Dänemark und Sanna Marin in Finnland.

In vielen west-, ost- und südeuropäischen Ländern sind Frauen in Spitzenpositionen dagegen noch immer eine Seltenheit. Ségolène Royal war 2007 die erste Frau mit konkreten Aussichten auf das Amt der französischen Staatspräsidentin. Einige Jahre zuvor bekleidete Edith Cresson unter Präsident Mitterrand für ein paar Monate das Amt der Premierministerin. In Italien oder Spanien ist bis heute keine einzige Frau auch nur in die Nähe solcher Positionen gelangt. In den drei Benelux-Staaten hat es bis in den Oktober letzten Jahres ebenfalls kein einziges Beispiel von Frauen in Regierungsverantwortung gegeben – bis Charles Michel in die EU-Ratspräsidentschaft wechselte und ihm Sophie Wilmes als belgische Ministerpräsidentin nachfolgte. In Österreich fungierte Brigitte Bierlein nach dem Ende der rechtskonservativen Koalition und bis zur Wahl einer neuen Regierung zumindest kommissarisch als Bundeskanzlerin und war damit die erste Frau in diesem Amt. In unserem zweitgrößten Nachbarland – Polen – sind seit der politischen Transformation der Jahre 1989/1990 immerhin drei Frauen zur Regierungschefin gewählt worden und auch in der Slowakei, Rumänien, Kroatien und Slowenien schafften es Frauen an die Spitze des Staates. Besonders häufig gelangten in den baltischen Staaten Frauen an die Macht. Kersti Kaljulaid wirkt seit 2016 als estnische Regierungschefin. Zuvor prägten Laumdota Straujoma und Vaira Vike-Freiberga in Lettland sowie vor allem Dalia Grybuskaite in Litauen über jeweils mehr als ein Jahrzehnt die Geschicke ihrer jeweiligen Länder.

Auch im globalen Vergleich sind Frauen in politischen Spitzenpositionen noch immer die absolute Ausnahme. Aktuell wirken in weniger als 30 Staaten Frauen entweder als Regierungschefin oder als Staatsoberhaupt. Unter ihnen amtiert Angela Merkel mit Abstand am längsten. Sie führt zudem das nach Bruttoinlandsprodukt bei weitem stärkste, von einer Frau regierte Land der Welt. In Asien sind die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-Wen, die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam, die nepalesische Präsidentin Bidhya Devi Bhandari sowie die bangladeschische Premierministerin Sheikh Hasina herauszuheben. Letztere ist derzeit die einzige Regierungschefin der muslimischen Welt und vertritt zudem den weltweit derzeit mit Abstand bevölkerungsreichsten, von einer Frau regierten Staat.

In Afrika sind die Premierministerin von Namibia, Saara Kuugongelwa, oder auch die äthiopische Präsidentin Sahle-Work Zewde zu erwähnen und in Ozeanien die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Besonders selten sind Frauen in Spitzenpositionen aktuell in Amerika. Dort werden lediglich die kleinen Inselstaaten Barbados sowie Trinidad und Tobago von Frauen regiert. Dies stellt jedoch nur eine Momentaufnahme dar. Schließlich ist es gar nicht so lange her, dass die drei wirtschaftlich stärksten südamerikanischen Staaten allesamt von Frauen geführt wurden. Michelle Bachelet in Chile, Cristina Kirchner in Argentinien und Dilma Rousseff in Brasilien. In den drei nordamerikanischen Staaten Kanada, USA und Mexiko hingegen ist noch niemals eine Frau in höchste Ämter gelangt.

Hinsichtlich der Vertretung von Frauen im Parlament wird die Statistik vom kleinen zentralafrikanischen Staat Ruanda angeführt. Dessen Unterhaus ist das einzige Nationalparlament weltweit mit einer weiblichen Mehrheit (55,7 %). Das Europaparlament hat mit der Europawahl im vergangenen Jahr den historischen Höchstwert von 40,4 Prozent erreicht.

Die weiblichen Staats- und Regierungschefs der Welt – geordnet nach der Länge ihrer Amtszeit.

Je linker, desto weiblicher

Deutschland wird mittlerweile seit 15 Jahren von einer Frau geführt. Und im vergangenen Jahr konnte zudem eine Deutsche an die Spitze der wirkungsmächtigsten überstaatlichen Gemeinschaft der Welt entsandt werden. Diese beiden äußerst prominenten Personalien sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hierzulande noch eine Wegstrecke zur vollständigen Gleichstellung zu gehen ist. Im Bundestag sind weniger als ein Drittel der Abgeordneten weiblich (31 Prozent). Während bei Linken und Grünen mehr als die Hälfte der Mandate von Frauen gehalten wird, sind es bei der AfD nur etwas mehr als zehn Prozent. Und auch die mit Abstand größte Fraktion im Deutschen Bundestag – die Union – setzt sich nur zu einem Fünftel aus Frauen und zu vier Fünfteln aus Männern zusammen. Bei der FDP werden 23 und bei der SPD immerhin 43 Prozent Frauenanteil erreicht. Es lässt sich also im Rechts-Links-Schema eine klare Proportionalität hin zu stärkerer weiblicher Vertretung ablesen. Will heißen: Je linker die Partei, desto mehr Frauen im Parlament und umgekehrt. Ob dies nun ein besonderes Auszeichnungskriterium ist, sei dahingestellt. Schließlich ist eine weibliche Mehrheit nicht per se besser als eine männliche und korrelieren die unterschiedlichen Mandatsverteilungen mit der Mitgliedschaft in den jeweiligen Parteien. Und so stellt sich die Frage, warum eine Partei anteilsmäßig signifikant mehr Frauen in die Fraktion bringen soll, als sich in ihr überhaupt politisch engagieren. Der Frauenanteil unter den Mitgliedern der im Bundestag vertretenen Parteien liegt insgesamt sogar um einige Prozentpunkte unter dem Frauenanteil im Bundestag. Insofern wäre es logischer und gerechter, grundsätzlich mehr Frauen für ein politisches Engagement zu begeistern.

Auf der Ebene der deutschen Landesparlamente sieht es nicht viel anders aus. Nur in den Bürgerschaften Hamburgs (44 Prozent) und Bremens (41 Prozent) ist der Frauenanteil signifikant höher als im Bundestag. In Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt liegt er wiederum deutlich darunter. Alle anderen Länderparlamente entsprechen in etwa dem Niveau des Bundestages.

Von den 16 deutschen Landesregierungen werden lediglich zwei von Frauen geführt. Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern sind die einzigen Ministerpräsidentinnen Deutschlands. Beide gehören der SPD an. Unter den bislang 145 Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik waren seit dem Jahr 1949 ohnehin nur sechs Frauen. Vor Schwesig und Dreyer waren dies die Sozialdemokratin Heide Simonis in Schleswig-Holstein und ihre Parteikollegin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen sowie die beiden Christdemokratinnen Christine Lieberknecht in Thüringen und Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland.

Der ohnehin als zu gering kritisierte Frauenanteil im Deutschen Bundestag wird von den Länderparlamenten nochmals unterboten. Er liegt im Mittel aller Landtage zwar nur marginal unter dem Wert des Bundestages (31 %), werden aber auch die Zahl der Abgeordneten und damit mittelbar die der Einwohner des jeweiligen Bundeslandes mit einbezogen, sinkt er noch einmal um 0,3 Prozentpunkte auf 30,7 Prozent. Der also hinsichtlich des Bundestages schon hinreichend kritisierte Befund einer vermeintlich unzulänglichen Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten, setzt sich auf der Ebene der Länder fort. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der vorherige Bundestag in der Legislaturperiode zwischen 2013 und 2017 bereits einen Frauenanteil von mehr als 37 Prozent erreicht hatte und die letzte Bundestagswahl im September 2017 eine erhebliche Veränderung zuungunsten der weiblichen Abgeordneten erbrachte, dass für die Länderparlamente hingegen die aktuelle Relation von 31 bzw. 30,7 Prozent einen historischen Höchstwert darstellt. Die geringere Repräsentanz von Frauen auf der Landesebene war auch der Grund, weshalb im Land Brandenburg erstmals ein Paritätsgesetz verabschiedet wurde. Spätestens mit der übernächsten Landtagswahl muss fortan die Hälfte aller Listenplätze an Frauen vergeben werden. Im Sommer 2019 hatte auch der Thüringer Landtag ein solches Gesetz beschlossen. Beide Vorhaben wurden jedoch von einigen Parteien beklagt, sodass letztlich die Verfassungsgerichte entscheiden müssen. In Thüringen konnte das Gesetz auf diese Weise erfolgreich gestoppt werden.

Weniger als zehn Prozent

Ist der Frauenanteil im Bundestag schon deutlich kleiner als im Europaparlament, verzeichnen die Länderparlamente noch geringere Werte. In den Kommunen ist das Problem noch einmal deutlich virulenter. Hier kann von einer angemessenen Vertretung nicht ansatzweise gesprochen werden.

So werden weniger als zehn Prozent der Landkreise von einer Frau geführt. Dieser geringe Anteil zeigt sich nahezu gleichmäßig über alle Regionen Deutschlands hinweg. Positiver Ausreißer ist Thüringen. Hier fällt immerhin fast jeder dritte Landkreis an eine Frau (29,4 Prozent). Im benachbarten Sachsen hingegen sind sämtliche Landratsämter in männlicher Hand. Alle anderen Bundesländer gruppieren sich in einer Marge zwischen 83,3 und 94,2 Prozent Männeranteil bei den Landratsposten.

Von den 81 deutschen Großstädten wurden bis zum März dieses Jahres lediglich drei von einer Frau regiert – Henriette Reker in Köln, Barbara Ludwig in Chemnitz und Jutta Steinruck in Ludwigshafen. Mit den bayerischen Kommunalwahlen sind noch einmal zwei hinzugekommen – Eva Weber in Augsburg und Getrud Maltz-Schwarzfischer in Regensburg. Insgesamt liegt der Anteil mit 6,2 Prozent aber noch einmal deutlich unter dem der Landkreise. Es ergibt sich auch kaum eine Besserung, wenn statt der Großstädte die Ebene der kreisfreien Städte insgesamt betrachtet wird. Neben den fünf genannten Großstädten werden auch Flensburg, Speyer, Baden-Baden, Hof und Eisenach von einer Oberbürgermeisterin geführt. Das sind dann zehn von insgesamt – die Stadtstaaten mit eingerechnet – 110 kreisfreien Städten in Deutschland – ein Anteil von 9,1 Prozent.

Bundesland Anzahl Landkreise davon Landrat (Anteil) davon Landrätin (Anteil)
Baden-Württemberg 35 33 (94,3 %) 2 (5,7 %)
Bayern 71 64 (90,1 %) 7 (9,9 %)
Brandenburg 14 12 (85,7 %) 2 (4,3 %)
Hessen 21 19 (90,5 %) 2 (9,5 %)
Mecklenburg-Vorpommern 6 5 (83,3 %) 1 (16,7 %)
Niedersachsen 37 34 (91,9 %) 3 (8,1 %)
Nordrhein-Westfalen 31 29 (93,5 %) 1 (3,2 %)
Rheinland-Pfalz 24 21 (87,5 %) 3 (12,5 %)
Saarland 6 5 (83,3 %) 1 (16,7 %)
Sachsen 10 10 (100 %) 0 (0 %)
Sachsen-Anhalt 11 10 (90,9 % 1 (9,1 %)
Schleswig-Holstein 11 10 (90,9 %) 1 (9,1 %)
Thüringen 17 12 (70,6 %) 5 (29,4 %)

Mehr Hans als Frau

Insgesamt zeigt sich also eine fallende Repräsentanz von übergeordneten auf untere politische Ebenen. Je weniger die jeweiligen Posten im medialen Rampenlicht stehen, desto stärker prägt sich eine massive männliche Dominanz von nicht selten exklusiven Herrenrunden aus.

In herausgehobenen politischen Ämtern sind Frauen nahezu gleichmäßig zu ihren männlichen Kollegen vertreten. Im Bundeskabinett sitzen beispielsweise sieben Frauen und neun Männer und auch in den Landesregierungen sind Frauen mittlerweile annähernd in gleicher Zahl anzutreffen, wie ihre männlichen Kollegen. Doch schon bei den beamteten Staatssekretären überwiegen ganz deutlich die Männer. Seit Gründung der Bundesrepublik amtierten etwa 700 Staatssekretäre, von denen lediglich drei Prozent weiblich waren. Obwohl in fast allen Ministerien mittlerweile mehr Frauen als Männer arbeiten, ist die Führungsebene – mit Ausnahme des Familienministeriums – nach wie vor deutlich männlich dominiert. Es scheint sich auch wenig zu ändern, denn seit der Bundestagswahl 2017 wurde in der aktuellen Legislaturperiode nur etwa ein Viertel der neu besetzten Posten an Frauen vergeben. Eine aufwändige Recherche der Zeit ergab, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Männer mit dem Vornamen Hans auf die höchste politische Beamtenebene schafften als dies Frauen geglückt ist. Insofern drängt sich tatsächlich der Eindruck einer reinen Schaufensterpolitik auf. Dort, wo das gesellschaftlich erwünschte Paradigma einer gleichberechtigten Vertretung medial täglich nachvollzogen werden kann, ist die Situation deutlich besser, als überall dort, wo Aufstieg keine Frage von Nominierungen und demokratischen Auseinandersetzungen ist, sondern von langwierigen Ausschreibungsprozessen und Beförderungskämpfen.

Auf der verbeamteten Leitungsebene zeigt sich somit ein ähnliches Bild, wie bei den hinsichtlich der Frauenförderung vielkritisierten Unternehmen. Auch in der Wirtschaft wird mittlerweile heftig debattiert, ob und wie mehr Frauen in die Führungsspitze gelangen können. Seit März 2015 werden große Unternehmen in Deutschland verpflichtet, Aufsichtsräte mindestens zu 30 Prozent mit Frauen zu besetzen. Das entsprechende Gesetz ist seit 2016 in Kraft, doch für die Vorstandsebene fehlt es bislang an einer gesetzlichen Vorgabe. Bundesfamilienministerin Giffey hatte im Februar dieses Jahres einen neuen Entwurf vorgelegt, doch es braucht noch die Zustimmung der Union. Nach Giffeys Vorstellungen sollen alle Börsenunternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern und mindestens vier Vorstandsmitgliedern verbindlich verpflichtet werden, mindestens eine Vorstandsfrau zu besetzen. Aktuell liegt der Anteil von Frauen in den Vorständen von Dax-Unternehmen bei etwa zehn Prozent. Das stellt im Vergleich zum Jahr 2015 immerhin fast eine Verdopplung dar, liegt aber noch immer deutlich unter den Quoten, die in anderen entwickelten Industrienationen erreicht werden.

Zumindest die Richtung stimmt

Die Frage, ob Frauen im Grundsatz das Potential für Führungsämter aufweisen, wird heute nicht mehr erörtert. Das wurde erstens hinreichend bewiesen und zweitens wäre allein die Debatte darüber purer Sexismus. Die individuellen Möglichkeiten sind nicht an das Geschlecht gebunden, sondern einzig an Talent, Fleiß und Klugheit. Wieso also herrschen diese gravierenden Ungleichgewichte? Das hat vermutlich viel mit noch immer prägenden weiblichen und männlichen Rollenbildern zu tun. Frauen wird nach wie vor eine besondere Kompetenz und vor allem eine spezifische Verpflichtung für das häusliche Umfeld und die Kinder zugeschrieben. Männer die tagsüber die Kinder betreuen, den Haushalt erledigen und ihrer Frau nach der Rückkehr von einem harten Arbeitstag ein gemütliches und schmackhaftes Abendessen kredenzen, gibt es kaum. Und tatsächlich geht es in der Gleichstellungsdebatte lediglich um Augenhöhe und nicht um eine Umkehr der Verhältnisse. Moderne Frauen teilen sich die Pflichten jenseits des Berufes mit ihren Partnern. Viele Männer, mit denen sie auf beruflicher Ebene konkurrieren, sind davon jedoch vollkommen entlastet. Zudem strebten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich weniger Frauen in karriereträchtige Berufe als ihre männlichen Kollegen. Doch auch dies kann und wird sich vermutlich ändern. Wir befinden uns inmitten eines Prozesses, der noch nicht am Ende angelangt ist, doch zumindest in die richtige Richtung weist. Viele Indizien deuten darauf hin, dass wir in einigen Jahrzehnten gänzlich andere Verhältnisse haben werden. So ist der Frauenanteil bei den Jura- oder BWL-Studenten in den zurückliegenden Jahren deutlich gestiegen. Fächerübergreifend gibt es fast genauso viele Studentinnen wie Studenten. Bei den Abiturienten sind junge Frauen mittlerweile recht deutlich in der Überzahl und schließen auch signifikant besser ab. Die sich zunehmend ausspreizenden Unterschiede hinsichtlich der schulischen Erfolge haben in der Vergangenheit erstmals eine Debatte über eine spezifische Jungenförderung provoziert. Dies alles sind Entwicklungen und Befunde, die noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar schienen. Es findet also Wandel statt, doch natürlich läuft dieser für die eine oder andere zu langsam ab. Es hilft einer ambitionierten Juristin oder Managerin schließlich nicht, wenn man ihr sagt, dass gemischte Spitzenteams in einigen Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit sein werden. Sie will heute aufsteigen und muss sich dabei womöglich gegen recht geschlossene Männerbünde durchsetzen. Doch auch diese werden zunehmend poröser. Vor allem in der jungen Generation erkennen auch viele Männer die Notwendigkeit einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe. In aufgeklärten und progressiven Milieus gehört es mittlerweile zum guten Ton, sich diesbezüglich angemessen zu engagieren. Letztlich soll jede Familie über ihren eigenen Lebensentwurf selbst entscheiden dürfen, doch wahr ist auch, dass wir nur dann zu mehr Gleichheit kommen werden, wenn Frauen über die zeitlichen Möglichkeiten für eine berufliche Entfaltung verfügen. Und so ist es nachvollziehbar das beispielsweise die Kita-Betreuung oder auf beide Partner aufgeteilte Elternzeitmodelle gezielt gefördert werden. Andere Regelungen, wie das Ehegattensplitting, geraten auf den Prüfstand, weil sie geeignet sein könnten, das gesellschaftlich erwünschte Ziel einer stärkeren Mitwirkung zu konterkarieren.

Zu guter Letzt muss an die jungen Frauen appelliert werden, ihre Karrieren bewusster zu planen, in die entsprechenden Studiengänge und Berufe zu drängen sowie die eigenen Interessen noch etwas vehementer zu verfolgen. Dann kämen wir im besten Falle fast überall zu gemischten Teams. Denn die – das haben verschiedene soziologische Studien bewiesen – erzielen im Hinblick auf Effizienz und Kreativität die besten Erfolge. Das gilt im Übrigen nicht nur für Vorstände und Aufsichtsräte von Dax- Unternehmen, sondern beispielsweise auch für das Kita-Kollegium. Und es liegt auch im Interesse des gesamten Gemeinwesens, vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels die Potentiale möglichst aller Bürger vollständig auszuschöpfen.

Um dieses Ziel zu erreichen, wäre es natürlich hilfreich, wenn Frauen auf den verschiedenen politischen Ebenen und in den Institutionen von Exekutive und Verwaltung noch stärker vertreten wären. Der etwa 30prozentige Frauenanteil erscheint hier als geringeres Problem, als die massive Unterrepräsentanz in den ministerialen Spitzenebenen. Dass für die Hauptverwaltungsbeamten in den Kommunen ein besonders eklatanter Nachholbedarf konstatiert werden muss, hat mit einem Kernproblem der Gleichstellungsdebatte zu tun. Wenn Frauen sich parteiübergreifend deutlich weniger engagieren, dann werden notwendigerweise auch weniger Frauen für politische Ämter nominiert. Dieser Umstand sollte bei einer Bewertung nach Geschlechtergerechtigkeit auch irgendwie eingepreist werden.

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