Von der Rettung eines Mehrsparten-Stadtwerkes aus der Insolvenz bis zum Phosphorrecycling – Öffentlich-Private Daseinsvorsorge (ÖPD) kommt wieder in Fahrt
Das aktuellste Beispiel
Februar 2023: Die Stadtwerke Bad Belzig GmbH werden zum ÖPD-Unternehmen
„Mit Eintreten der Rechtskraft des Insolvenzplans am 21. Februar 2023 ist das Fortbestehen der Stadtwerke Bad Belzig gesichert. Damit können die Mitarbeiter und Kunden des Unternehmens aufatmen,“, sagte Joachim Voigt-Saulus, der als Generalbevollmächtigter die Geschäftsführung der Stadtwerke Bad Belzig 2022 bei allen insolvenzrechtlichen Fragen unterstützte. Auch der vom Amtsgericht bestellte Sachwalter Dr. Jürgen Spliedt begrüßte die Entscheidung für den Insolvenzplan.
Mit Remondis sei ein namhafter Partner für den kommunalen Versorger gefunden worden, erläuterte Simon Leopold, der als Unternehmensberater den Investorenprozess verantwortet hatte. „Als Teil der operativen Sanierung haben wir einen strukturierten M&A-Prozess durchgeführt. Auch wenn die aktuelle Gesamtwirtschaftslage komplex ist, konnten wir mit mehreren möglichen Investoren Gespräche führen. Remondis legte das beste Gesamtkonzept vor“, zog Leopold Bilanz.
Diese Fakten fanden wir in einer Pressemitteilung der am Insolvenzverfahren Beteiligten, die im einleitenden Text zu Wort kamen. Von uns aus ist nachzutragen, dass ohne die strategische Mitwirkung eines privaten Investors die Stadtwerke Bad Belzig GmbH – sie hatte Ende 2021 die Insolvenz angemeldet – mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit dem separaten Verkauf der einzelnen Sparten zerschlagen worden wären. Wir reden von einem funktions- und leistungsfähigen kommunalen Daseinsvorsorgeunternehmen, das ausschließlich wegen gravierender Fehlentscheidungen eines Allein-Geschäftsführers in die Schieflage geraten ist. Hätte das Unternehmen nicht überlebt, wäre das ohne Übertreibung ein Supergau für die Kommune und deren Bürger!
Was in Bad Belzig passiert ist, wie die Stadtwerke aus fast hoffnungsloser Lage befreit wurden, und wie es weitergeht, lesen Sie ausführlich im nächsten Monat. Vorab nur wenige Fakten, die für diesen konkreten Beitrag von Bedeutung sind.
Über eine Beteiligungsgesellschaft ist nunmehr Remondis mit 49 Prozent an der Stadtwerke Bad Belzig GmbH beteiligt. 51 Prozent hält die Kommune. Damit ist qua meiner Definition im Gabler Wirtschaftslexikon ein Unternehmen der Öffentlich-Privaten Daseinsvorsorge im Februar 2023 ins kommunale Leben gekommen. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/oeffentlich-private-daseinsvorsorge-oepd
Die Weichen dafür hatte die Stadtverordnetenversammlung in Bad Belzig im Juni/Juli 2022 gestellt. Mit überwältigender Mehrheit beschlossen die kommunalen Mandatsträger den Erhalt der Stadtwerke, die Beteiligung von Remondis und einen Partnerschaftsvertrag, der die Essentials zu dieser Kooperation definiert. Dafür stehen das für den Blogger heilige Prinzip, dass in gemischtwirtschaftlichen Daseinsvorsorgeunternehmen die kommunale Seite immer die Mehrheit haben muss, denn sie trägt die Verantwortung dafür, dass z. B. sauberes Wasser aus der Leitung fließt. Definiert sind im Partnerschaftsvertrag auch das Primat der Daseinsvorsorge und die damit einhergehende Gemeinwohlorientierung.
Die Stadtwerke Bad Belzig GmbH versorgen seit 1992 die Kreisstadt von Potsdam-Mittelmark (rund 11 000 Einwohner) mit Erdgas, Fernwärme und Trinkwasser und sind auch für die Entsorgung des Abwassers verantwortlich. Ihre zuverlässige Partnerschaft mit der Region stellen die Stadtwerke als technischer Betriebsführer von 18 Einrichtungen unter Beweis.
Und nun chronologisch:
22. Juni 2022: Flughafen Düsseldorf. Bund plant Gründung einer ÖPD-Gesellschaft
In ihrer Ausgabe vom 22. Juni 2022 berichteten die „Ruhr Nachrichten“ unter der Überschrift „Der Staat soll kontrollieren“, dass die Bundesministerien für Verkehr und Inneres intensiv an Plänen zur Gründung einer ÖPD-Gesellschaft arbeiten. Daran soll der Bund mindestens 51 Prozent der Anteile halten. Die Gesellschaft soll am Flughafen Düsseldorf die Passagier-, Gepäck-, Waren- und Personalkontrollen sowie die Eigensicherungspflichtaufgaben des Flughafens wie Streifendienste auf dem Vorfeld unter einem Dach zusammenfassen. Die angedachte Gründung sei die Konsequenz aus dem Versagen vieler privater Dienstleister auf großen deutschen Flughäfen, darunter Düsseldorf, im Jahr 2022. In den Überlegungen spiele das sogenannte „Düsseldorfer Modell“ der Deutschen Bundespolizeigewerkschaft eine wichtige Rolle. Dort wird für die Bildung einer halbstaatlichen Gesellschaft – Bund mindestens 51 Prozent – plädiert, an der auch der Flughafenbetreiber und das Land Nordrhein-Westfalen mitwirken sollten. Finanziert werden soll die halbstaatliche Sicherheitsgesellschaft, die nicht gewinnorientiert sein soll, durch die staatlichen Luftsicherheitsgebühren und die Flughafengebühren. „Die staatliche Führung würde gewährleisten, dass die Sicherheit stets oberste Priorität bei der Aufgabenerfüllung hat“, heißt es in dem Positionspapier der Bundespolizeigewerkschaft. Das erinnert den Blogger an das von ihm in der erwähnten ÖPD-Definition postulierte Primat der Aufgabenerledigung vor der Gewinnmaximierung.
Davon hat auch Ernst Walter, Ehrenvorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, schon gehört. Er verweist darauf, dass es bei den Luftsicherheitskontrollen an den bayerischen Flughäfen in München und Nürnberg nicht einmal ansatzweise solche Probleme wie an den beiden großen NRW-Flughäfen Köln/Bonn und Düsseldorf gäbe. Der Hauptgrund dafür seien – auch nach Einschätzung von Experten – dass die Flughäfen in Bayern vollständig dem Freistaat gehören, während z. B. in Düsseldorf die private Anlagefirma Airport Partners die Hälfte der Anteile habe. Dieser Gesellschafter dringe auf eine möglichst hohe Rendite (vgl. Ruhr Nachrichten vom 22. Juni 2022).
29. Juni 2022: Cottbusser Stadtverordnetenversammlung votiert für ÖPD-Gründung
An diesem Tag, dem 29. Juni 2022, berieten die kommunalen Mandatsträger in der Stadtverordnetenversammlung von Cottbus über die künftigen Strukturen der Leistungserbringung bei der Abfallentsorgung, der Straßenreinigung, dem Winterdienst und weiteren kommunalen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. In einer nichtöffentlichen Sitzung stimmten die Stadtverordneten mit überwältigender Mehrheit bei nur einer Gegenstimme dafür, für die Realisierung dieser Leistungen ein Öffentlich-Privates Daseinsvorsorgeunternehmen zu etablieren. Auch hier steht das Prinzip der kommunalen Mehrheit im Beschluss. Der Oberbürgermeister wurde beauftragt, alle notwendigen Schritte zur Umsetzung unter Beachtung der genannten Prämisse vorzubereiten. Diese Vorlage soll den Mandatsträgern im Dezember 2023 zur Entscheidung vorgelegt werden.
24. August 2022: In Cottbus wird ein ÖPD-Unternehmen zum Phosphorrecycling auf den Weg gebracht
In Cottbus ist die LWG Lausitzer Wasser GmbH & Co. KG (LWG) beheimatet. Gesellschafter dieses ÖPD-Unternehmens sind die Stadt Cottbus mit 50,1 Prozent, Kommunen aus dem Landkreisen Spree-Neiße und Dahme-Spree mit 21 Prozent und die private EURAWASSER mit 28,9 Prozent.
Die LWG als größtes Wasserunternehmen in Südbrandenburg ist ein verlässlicher Dienstleister der Daseinsvorsorge für über 130 000 Einwohner, engagiert sich aber auch in anderen wichtigen Bereichen wie der Bergbaurekultivierung.
Nunmehr hat der Aufsichtsrat der LWG die Weichen für ein ganz neues Geschäftsfeld gestellt: Die Phosphorrückgewinnung aus kommunalen Klärschlämmen (dazu auch das Interview mit Harald Hanßen von Hamburg Wasser aus dem Januar 2023 und der dazugehörige Text unter „Hintergrund“ – siehe Startseite ganz oben, rechts).
Das LWG-Gremium fasste am 24. August 2022 den Beschluss, die notwendigen Schritte zur Gründung einer ÖPD-Gesellschaft für die Phosphorrückgewinnung einzuleiten. An dieser Gesellschaft sollen neben der LWG (30 Prozent), die Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbh (FWA) (30 Prozent) und der Trinkwasser- und Abwasserzweckverband Eisenhüttenstadt (30 Prozent) beteiligt sein. Weitere zehn Prozent sind für weitere Zweckverbände vorgesehen, die sich an dieser Kooperation beteiligen wollen. Der Know-how Transfer aus der EURAWASSER ermöglicht der LWG nun ein weiteres ÖPD-Unternehmen in einem existentiellen hochinnovativen Bereich entstehen zu lassen. Phosphor gehört zu den Lebenselementen. Da die irdischen Vorräte noch in diesem Jahrhundert verbraucht sein werden, wird die Rückgewinnung des Phosphor zu einer Überlebensfrage. Das Element ist das wichtigste Düngemittel. Wäre es nicht mehr verfügbar, bräche die Welternährung zusammen.
Fazit des Autors:
- Diese Beispiele aus 2022 und 2023 gehören ganz sicher zu den wichtigsten in der Rubrik neue ÖPD-Projekte. Es ist anzunehmen, dass es weitere gibt. Dokumentieren können wir sie hier leider nicht, denn die Datenlage für kommunale Projekte dieser Art ist bekanntlich unbefriedigend.
- Im Vergleich mit der Situation im Zeitraum 2008 bis 2021 – seit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 stehen Kooperationen von öffentlicher und privater Wirtschaft fast schon unter „Generalverdacht“ – sind die hier zusammengetragenen Beispiele vielleicht noch kein Trend im belastbaren statistischen Sinne. Sie sind aber auf jeden Fall ein klarer Beleg für ein kommunales Umdenken.
- Und dies betrifft die für uns höchste Form Öffentlich-Privater Daseinsvorsorge, und das sind gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit kommunaler Mehrheit. Genau dafür stehen diese Beispiele!
Vgl. dazu:
Schäfer, Michael / Rethmann, Ludger, Öffentlich-Private Partnerschaften. Auslaufmodell oder eine Strategie für kommunale Daseinsvorsorge? SpringerGabler, Wiesbaden, 2020
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-28273-8
Schäfer, Michael / Rethmann, Ludger, Öffentlich-Private Daseinsvorsorge (ÖPD) in Deutschland. Gemischtwirtschaftliche Unternehmen auf kommunaler Ebene als strategischer Erfolgsfaktor, SpringerGabler, Wiesbaden, 2020