Wessis in Weimar

Seit mehr als zwanzig Jahren endlich wieder auf einer deutschen Bühne – „Wessis in Weimar“. Foto: Michael Wirkner

Wessis in Weimar

Mit Rolf Hochhuth ist im Mai dieses Jahres einer der größten zeitgenössischen deutschen Dramatiker für immer gegangen. Wie alle namhaften Autoren der Nachkriegszeit – jenseits und diesseits der Mauer – war er hochpolitisch und setzte sich äußerst kritisch mit den gesellschaftlichen Eliten auseinander, kämpfte meinungsstark, bisweilen auch polemisch, für seine Anliegen. Dazu bedurfte es sicherlich weniger Mut, als bei seinen Kollegen in der DDR, dennoch stand auch Hochhuth mehr als einmal vor dem gesellschaftlichen Aus.

Die alten Granden Böll, Grass, Handke, Hochhuth, Müller oder Peymann waren sich beileibe nicht immer einig. Was sie einte, war und ist jedoch die Lust an der Kontroverse und die Bereitschaft für einen ordentlichen Streit, auch bei Gegenwind. Das mag hier und da an Halsstarrigkeit grenzen bzw. gegrenzt haben, ist in unserer überkorrekten Filterblase jedoch schon ein Wert an sich. Man mag sich vielleicht mal vergaloppieren, im Fokus aber stehen die Inhalte und nicht allein die Frage, wer was wann in welchem Kontext sagen darf.

So war es auch mit Hochhuth. Schon sein erster Bühnenerfolg wurde heftig diskutiert. „Der Stellvertreter“ thematisierte – seinerzeit noch ein mutiger Akt – die Haltung des Vatikans zum Nationalsozialismus. Die Uraufführung des „christlichen Trauerspiels“ im West-Berliner „Theater am Kurfürstendamm“ löste im Jahre 1963 die bis dahin weitestreichende Theaterdebatte der Bundesrepublik aus und sorgte für internationale Kontroversen. Hochhuth wollte sich aber keinesfalls vereinnahmen lassen und verbot über mehrere Jahre lang jede Aufführung im Ostblock. Seine Sorge war, dass seine kritischen Texte für eine plumpe antikatholische Propaganda benutzt würden.

Und so stand Hochhuth auch im weiteren Verlauf seiner Karriere oftmals zwischen den Stühlen, verscherzte es sich mit den einen, wie auch mit den anderen. Mitte der 1960er Jahre übte er deutliche Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen in der Bundesrepublik, was den damaligen Bundeskanzler Erhard zu der scharfen Replik veranlasste, Dichter Hochhuth sei nur ein Pinscher und möge sich heraushalten.

1967 bezichtigte Hochhuth in seinem Stück „Soldaten“ den ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill, während des Zweiten Weltkriegs die Ermordung der polnischen Exilregierung veranlasst zu haben. Das Stück wurde daraufhin im Vereinigten Königreich verboten, wiewohl die von Hochhuth erhobenen Vorwürfe nie ganz ausgeräumt werden konnten.

Und gegen Ende der 1970er Jahre entfachte Hochhuth mit seiner Erzählung „Eine Liebe in Deutschland“ die Debatte um die NS-Vergangenheit des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Der Vorwurf, dass Filbinger auch nach dem Ende des Nationalsozialismus noch Todesurteile ausgesprochen hatte, stellte sich zwar als haltlos heraus, Hochhuths Polemik ist es aber zu verdanken, dass die Öffentlichkeit auf Filbingers Rolle als Marinerichter aufmerksam wurde und schließlich dessen Rücktritt von allen Ämtern erwirkte.

Nach der Deutschen Einheit sicherte sich Hochhuth im Namen der nach seiner Mutter benannten „Ilse-Holzapfel-Stiftung“ das Vorkaufsrecht am Hauptspielort des Berliner Ensembles. Damit begann eine lange Fehde mit dessen Intendanten – zuerst mit Heiner Müller und später vor allem mit Claus Peymann. Selbst interessierte Beobachter verloren irgendwann den Überblick, welcher Umstand wann welche Reaktion provozierte. Einige meinen gar, dass der Zwist der alten Herren zu einem nicht geringen Anteil der Selbstinszenierung diente.

Das wichtigste literarische Nach-Wende-Werk des Dichters war das Schauspiel „Wessis in Weimar“. Hochhuth, der immer erst Journalist und dann Dramatiker war, verarbeitet hier ausgiebig authentische Dokumente, lässt zahlreiche hohe Beamte und leitende Manager der großen deutschen Unternehmen auftreten. Auch dieses Stück sorgte für einen Skandal, denn Hochhuth wird vorgeworfen, die Ermordung des Treuhandchefs Detlev Carsten Rohwedder durch ein RAF-Kommando wenn nicht gar gutgeheißen, so doch zumindest relativiert zu haben. Wie das so ist mit dem Skandal. Er sorgt für Aufmerksamkeit, aber er verkürzt sie meist auf eine griffige Schlagzeile. Abseits dieser kontroversen Passage im Prolog des Stücks war Hochhuth einer der ersten, der den nahezu vollständigen Ramschverkauf des DDR-Staatsvermögens thematisierte. Das in Teilen desaströse Wirken der Treuhandanstalt wird mittlerweile auch von vielen der seinerzeit Verantwortlichen in einem kritischen Licht gesehen, Hochhuth ist zuzuschreiben, dass er diese Eindrücke noch in Echtzeit in ein politisch hochbrisantes Stück umwandelte. Dieses kam im Februar 1993 in Berlin zum ersten Mal zur Aufführung und sorgte auch für künstlerische Kontroversen. Hochhuth war äußerst unzufrieden mit der Version des Regisseurs Einar Schleif und gab die Inszenierung nur unter der Bedingung frei, dass den Zuschauern auch das Originalmanuskript zur Verfügung gestellt würde. Bei der Kritik jedoch kam Schleifs Inszenierung deutlich besser an, als die weitgehend werkgetreue Aufführung ein Jahr später durch den Schweizer Regisseur Yves Jansen in Hamburg. „Wessis in Weimar“ war Hochhuth offenbar so wichtig, dass er sich ein weiteres Jahr später im südthüringischen Meiningen erstmals selbst als Regisseur versuchte. Danach schwand allerdings das Interesse für das Schauspiel, welches Hochhuth selbst als eines, wenn nicht gar das wichtigste Werk seines Schaffens bezeichnete. Das letzte Mal wurde es im Jahre 2009 – zwanzig Jahre nach dem Mauerfall – in Brandenburg an der Havel inszeniert. Hochhuth hatte mehrfach seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass sein mit Akribie recherchiertes Drama die Debatte um den Stand der Deutschen Einheit künstlerisch und intellektuell befördern würde, doch die Öffentlichkeit interessierte sich nicht mehr sonderlich für die alten Geschichten von der Treuhand. Was schade war, denn in diesen ersten Monaten der Einheit waren viele Verwerfungen angelegt, die bis heute als Spaltpilz im gemeinsamen Deutschland wirken. Und umso bedauerlicher war es auch, dass Rolf Hochhuth den 3. Oktober dieses Jahres in Rudolstadt nicht mehr erleben sollte.

Endlich wieder auf der Bühne

Nach elfjähriger Pause war „Wessis in Weimar“ endlich wieder zu sehen. Und dies nur etwa 35 Kilometer südlich der namensgebenden Klassikstadt inmitten des malerischen Thüringer Waldes. Rudolstadt ist die Schwesterstadt von Weimar und seit Jahrzehnten ein kultureller Hotspot im Freistaat. Mit dem Rudolstadt-Festival tobt hier jeden Sommer eines der größten Folk- und Weltmusik-Festivals der Welt. Das Theater Rudolstadt pflegt eine mehr als 200jährige Tradition und beherbergt gleichzeitig die Thüringer Symphoniker. Und der theater-spiel-laden ist eines der meistgebuchten Amateurtheater in den Neuen Bundesländern. Dieses Ensemble war es auch, welches zum 30. Jubiläum der Deutschen Einheit Hochhuths brachiale Anklage gegen die Treuhandgesellschaft wiederaufführte.

Der in Weimar ansässige Regisseur und Schauspieler Peter Rauch komprimierte das in der Originalfassung über sechs Stunden lange Stück zu einer beklemmenden und fesselnden Collage über absurde, provokante, empörende und tragische Wende-Schicksale. Dazu Rauch: „Die Zuschauer werden mit verschiedenen, unvereinbaren Sichtweisen, Wertvorstellungen und Lebensentwürfen konfrontiert und können eigene Parallelen zum Thema „Treuhand“ ziehen.!“

Am 8. November wird diese Inszenierung in einer öffentlichen Aufführung als B-Premiere im Thüringer Landestheater Rudolstadt gezeigt.

Hier im Theater Rudolstadt wird „Wessis in Weimar“ am 8. November noch einmal zur Aufführung gelangen. Foto: Praefcke

Eine Idee und ihre Umsetzung

Das Projekt der Wiederaufführung hatte gleich mehrere Paten. Zunächst Hochhuth selbst, der stets betonte, wie sehr ihm „Wessis in Weimar“ am Herzen liegt und wie hoch er dieses Stück unter seinen gesammelten Werken einordnet. Von dieser herausgehobenen Relevanz musste Prof. Dr. Michael Schäfer nicht erst überzeugt werden. Er war der deutschlandweit erste Professor für Kommunalwirtschaft und kannte – nicht zuletzt aufgrund seiner ostdeutschen Provenienz – die Wirkungen der Treuhand auf Wirtschaft und Gesellschaft der Neuen Bundesländer. Die spontane Idee einer Wiederaufführung von „Wessis in Weimar“ entsprang einem Treffen zwischen Hochhuth und Schäfer vor etwa einem Jahr in Berlin. Die beiden Herren setzten sich zum Ziel, das Drama zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit wieder auf eine Thüringer Bühne zu bringen. Das wurde geschafft, allerdings konnte Hochhuth diesen Tag nicht mehr erleben. Seine Witwe, Johanna Binger-Hochhuth, war Ehrengast der Premiere in Rudolstadt. Sie freute sich insbesondere über die Beteiligung eines Amateurtheaters, denn die Förderung junger Autoren und freier Ensembles sei ihrem Mann Zeit seines Lebens ein Herzensanliegen gewesen.

Bayreuths Oberbürgermeister Thomas Ebersberger, Rolf Hochhuths Witwe Johanna Binger-Hochhuth und Rudolstadts Oberbürgermeister Jörg Reichl (v.l.n.r.) Foto: Michael Wirkner

Vor Ort wurden die Fäden vom Rudolstädter Bürgermeister Jörg Reichl zusammengeführt. Er konnte schnell für das Projekt gewonnen werden und sorgte maßgeblich dafür, dass es gegen einige skeptische Voten und alle Corona-Widrigkeiten realisiert wurde. In seiner Festrede würdigte er Hochhuth als eine der größten literarischen Persönlichkeiten im Nachkriegsdeutschland und „Wessis in Weimar“ als eine überfällige, tabufreie Aufarbeitung des Wirkens der Treuhand.

Natürlich braucht ein solches Projekt auch die nötige finanzielle Förderung. Hier taten sich zwei Unternehmen hervor, die sich schon in den Wendemonaten in Ostdeutschland engagierten und seitdem intensive Partnerschaften mit Kommunen aus den Neuen Ländern pflegen. Die von Remondis und der Thüga AG etablierten Modelle liefern ein beredtes Beispiel, dass es sehr wohl Alternativen zum vollständigen Ausverkauf gegeben hätte. In den von beiden Unternehmen gelebten und geprägten Konstellation war es möglich, einen Mehrwert für beide Seiten zu organisieren und den Kommunen das Letztentscheidungsrecht zu belassen. Remondis und Thüga überzeugten eben nicht allein durch Kapitalmacht, sondern durch ihr innovatives und technologisches Potential zur Etablierung einer leistungsfähigen, effizienten und belastbaren Daseinsvorsorge. Ein Großteil dieser Bündnisse aus den ersten Tagen besteht bis heute fort, was nicht zuletzt die Verlässlichkeit und Seriosität der beteiligten Partner unterstreicht. Und sowohl Remondis als auch Thüga setzen mit ihren Sponsoringaktivitäten gezielt Fixpunkte für eine lebendige Kulturlandschaft in den Neuen Ländern – vom Theater bis zum Sportplatz.

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