Heute – am 23. Juni – ist der Tag der Daseinsvorsorge. Zumindest in Deutschland und dies seit einigen Jahren. Wie viele solcher Kalenderaktualitäten will auch der heutige Ehrentag eine gewisse Werbewirksamkeit entfalten. Ausgedacht hat sich das Ganze der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der mit dieser Kampagne auf die Rolle der kommunalen Wirtschaft für die bundesdeutsche Gesellschaft aufmerksam machen will. Insofern könnte im Sinne der Trennschärfe auch der „Tag der Kommunalwirtschaft“ begangen werden. Aber wir unterstellen einfach mal, dass der VKU auch die vielen privatwirtschaftlichen Betriebe würdigen will, die sich im Bereich der Daseinsvorsorge für Bürger und Kommunen nützlich machen. Doch was wird hier eigentlich begangen? Was ist mit „Daseinsvorsorge“ gemeint und wieso handelt es sich um einen derart besonderen Topos, dass hierfür eine gesonderte Wirtschaftsform mit einer entsprechenden Regulierung kreiert wurde?
Ein beständiger Kampf
Der Begriff der Daseinsvorsorge stammt aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Er wurde geprägt vom deutschen Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff, der auf diese Weise einen Kanon von Leistungen spezifizierte, für den die Öffentliche Hand eine besondere Gewährleistungsverantwortung wahrnehmen sollte. Mit diesen „essentiellen Leistungen des täglichen Gebrauchs“ seien in erster Linie die Kommunen betraut und so wird aus der Daseinsvorsorge ein Kernelement der kommunalen Selbstverwaltung. Das Konzept bildet mithin die zentrale Legitimationsgrundlage einer öffentlichen Wirtschaft und gerät somit fast automatisch in den Fokus ideologisch geprägter Auseinandersetzungen zwischen Sozialismus, Etatismus und Liberalismus. Die einen hielten das Ende der Daseinsvorsorge für gekommen und die anderen wollten den Umfang öffentlicher Verantwortung beständig ausdehnen. Seit Bestehen der Bundesrepublik changiert die Debatte beständig zwischen den beiden Extrempunkten. In den 1990er Jahren wies der Trend in Richtung mehr privater Erledigung, aktuell ist eher ein Ausbau kommunaler Verantwortung abzulesen.
Der Begriff der Daseinsvorsorge ist also hochpolitisch. Und es liegt auch in der Natur der Sache, dass in unserer sozialen Marktwirtschaft beständig um das richtige Maß von Staat und Markt gerungen wird. Was die Leistungen der Daseinsvorsorge so besonders macht, ist aber nicht nur deren Unerlässlichkeit, sondern vor allem der Umstand, dass sie sich in rein marktwirtschaftlichen Zusammenhängen oft nicht hinreichend erbringen lassen. Das unterscheidet das Brot vom Strom, das Auto vom ÖPNV und das Bier vom Wasseranschluss. Insbesondere bei netzbasierten Leistungen macht eine wettbewerbliche Erbringung schlichtweg keinen Sinn. Konkurrierende Netze hat es – beispielsweise im Energiebereich – nur in den ganz frühen Tagen der Versorgungswirtschaft gegeben. Heute gilt, dass die Investitions- und Instandhaltungskosten derart hoch sind, dass sich ein paralleler Betrieb nicht lohnt, dass es besser ist, ein einziges integriertes Netz zu schaffen, zu dem – wenn technisch möglich – verschiedenen Interessenten ein möglichst gleichberechtigter Zugang ermöglicht werden kann. Allerdings lässt sich das eine Netz nur bedingt mit dem anderen vergleichen. Strom oder auch Funksignale lassen sich von jedem Anbieter beliebig durchleiten, Wasser jedoch weist je nach Region derart spezifische Eigenschaften auf, dass dies nicht möglich ist. Auf öffentlichen Straßen können sich verschiedenste Fahrzeuge vergleichsweise problemlos überholen, auf Schienen muss der Verkehr dringendst laufend reguliert werden. Das Abwassernetz muss von der Spülung bis zur Klärung in einer Hand gemanagt werden, bei der Abfallentsorgung ließen sich Sammlung, Verarbeitung und Verwertung theoretisch auch getrennt voneinander organisieren. Krankenhäuser bestehen mittlerweile in ganz unterschiedlichen Strukturen, während bei den Schulen der öffentliche Bildungsauftrag einen weit breiteren Raum einnimmt. Daseinsvorsorge ist also vor allem eines – hochkomplex. Aktuell leuchtet fast Jedem ein, dass es einen schützenswerten Bereich essentieller Leistungen geben muss. Doch wie weit dieser reicht, wie er reguliert wird und inwiefern auch hier wettbewerbliche Strukturen ihre positive Wirkung für Effizienz und Kundennähe entfalten sollen, muss laufend verhandelt werden. Es geht eben nicht um die Frage nach privat oder kommunal, sondern um jene nach Monopol und Wettbewerb. Kommunale Unternehmen haben gezeigt, dass sie durchaus auch in liberalisierten Strukturen reüssieren, doch auch die private Wirtschaft leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Daseinsvorsorge. Grundsätzlich sollten beide Seiten das Recht haben, sich gleichberechtigt um Aufträge und Märkte bewerben zu dürfen. Doch angesichts knapper kommunaler Kassen sowie wachsender Herausforderungen wachsen auch die Impulse für kooperative Ansätze. Tatsächlich lassen sich schon heute landauf landab etliche Beispiele finden, wo kommunale und private Teilhaber seit Jahrzehnten erfolgreich zusammenarbeiten. Viel zu oft allerdings unter der Wahrnehmungsschwelle der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der Kitt unserer Gesellschaft
Die aktuelle Corona-Krise hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie wichtig eine verlässliche Daseinsvorsorge sein kann. Die Menschen in der Bundesrepublik wurden in den knapp drei Monaten des Lockdowns auf ihre essentiellen Bedürfnisse zurückgesetzt. Und diese wurden selbst unter schwierigsten Bedingungen stets in ausreichendem Maße befriedigt. Daran haben private Unternehmen – etwa im Einzelhandel oder bei der Logistik – ebenso ihren Anteil, wie die öffentliche Wirtschaft. Der Weg aus der Krise wird jedoch nur mit marktwirtschaftlicher Dynamik gelingen. Hierzu gilt es, insbesondere den Mittelstand, aber auch die Kommunen gezielt zu stärken. Beide Segmente sind durch die Entbehrungen der vergangenen Monate in eine teilweise erhebliche Schieflage geraten. Sie sind jedoch die tragenden Säulen unserer Gesellschaft und damit unverzichtbar. Vielerorts wird betont, wie gut die Bundesrepublik – im internationalen Vergleich – durch die Krise gekommen ist. Dabei wird gerne vergessen, wieviel Glück wir auch hatten und dass man sich nicht notwendigerweise nur an den worst practice-Beispielen orientieren muss. Corona sollte keinesfalls den Anlass für allzu viel Zufriedenheit bieten. Dazu sind die Herausforderungen bei Ökologie, Demografie, Globalisierung und Digitalisierung viel zu immens. Eine funktionierende Daseinsvorsorge bildet eine wesentliche Grundlage für volkswirtschaftlichen Erfolg. Und insofern sollte weiterhin um die besten Strukturen gerungen werden. Ein Ende der Debatte ist nicht abzusehen und das ist auch gut so.
Zu guter Letzt muss an dieser Stelle all jenen großer Dank ausgesprochen werden, die in systemrelevanten Berufen tagtäglich zur Stabilität unserer Gesellschaft beitragen. Es ist eine der zentralen Lehren der Corona-Krise, dass unser recht beschauliches und geordnetes Leben ohne sie nicht möglich wäre.