Das rollende Ärgernis

Kommunale Belange fallen in der Bundespolitik häufig durchs Raster, doch selten war diese Ignoranz plakativer zu besichtigen als am Beispiel der Bundeszulassung von E-Rollern. Gepuscht als umweltfreundliche Alternative zum Auto und Motorrad entpuppen sich die Leihgefährte primär als Spaßmobile für Touristen. Im viel zu knappen öffentlichen Verkehrsraum bedeutet der hausgemachte Wildwuchs der akkubetriebenen Zweiräder weitere Einschränkungen für Verkehrsteilnehmer. Vieles ist ungeregelt, die Bundesregierung überlässt die Problemlösung den Kommunen.

Den ersten Zwischenbericht, wie sich die Zulassung der sogenannten E-Scooter auf den Straßenverkehr in deutschen Metropolen auswirkt, wird Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bis Ende 2020 vorlegen. Jedoch schon heute – knapp ein halbes Jahr nach Zulassung der Vehikel per Bundesrechtsverordnung – zeigt sich landauf, landab das gleiche Bild: Die E-Scooter erobern Deutschlands Großstädte im Eiltempo mit zum Teil gravierenden Folgen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) hat in seiner Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung vom 14. Juni 2019 keine verbindlichen Regeln zu Park- und Rückgabe der E-Roller definiert und lässt die Kommunen mit den daraus resultierenden Problemen weitgehend alleine.

Peter Kurth, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e.V.

E-Scooter Missstände

Denn in manchen Kommunen brodelt es gewaltig, seit die E-Roller erlaubt sind. Zwar hat Scheuer letztendlich die Warnungen der Basis erhört und die E-Roller auf Gehwegen verboten, doch ohne Ressourcen, die Regeleinhaltung wirksam zu kontrollieren, hat diese faktisch keinen Wert. Will heißen: Vielerorts düsen ein oder mehrere Nutzer pro Roller mit den Gefährten durch Fußgängerzonen, brausen Gehwege entlang oder stellen sich alkoholisiert auf die Geräte. All das ist nicht erlaubt, doch wer soll es überwachen? Vielerorts ist von Unfällen, teils mit Schwerverletzten zu hören, bei denen der private Fahrspaß zu hohen Kosten für medizinische Behandlungen führt – mit zum Teil finanziellen Auswirkungen für die Allgemeinheit.

Unfälle und Wildwuchs in Berlin

„Die Fahrer von E-Tretrollern sind auffallend oft betrunken unterwegs und verursachen zahlreiche Unfälle“, resümierte beispielsweise die Berliner Polizei drei Monate nach Zulassung der Roller. Bei 74 Unfällen wurden 16 Menschen schwer und 43 leicht verletzt; in den meisten Fällen (65 von 74) trugen die Fahrer von E-Scootern Schuld, beispielsweise durch Fahrfehler, unzulässige Gehwegnutzung oder Alkohol, so die Polizei. Laut der Beratungsfirma Civity sind in der deutschen Hauptstadt inzwischen mehr als 9.000 E-Scooter unterwegs – eine Verdoppelung verglichen mit Anfang Juli, zwei Wochen nachdem die Gefährte freigegeben wurden.

Die Bundesregierung hat sich seit Inkrafttreten der Genehmigung vornehm zurückgehalten und kein Wort zur Situation verloren – stattdessen überlässt sie es den Kommunen, mit den Verleihanbietern die Eckpunkte einer geordneten Nutzung der E-Roller zu vereinbaren.

Kommunen drängen auf Sicherheit und Ordnung

Immerhin: Einen moderierenden Versuch zur Verständigung starteten der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund gemeinsam mit je zwei heimischen und ausländischen Anbietern. In einer Absichtserklärung von Ende August wurde unter anderem festgelegt, dass die E-Tretroller nur an festen Verleihstationen und auf gekennzeichneten Bereichen abgestellt werden dürfen. Wichtigster Punkt: „Falsch abgestellte oder kaputte Roller sollen von den Verleihern innerhalb einer bestimmten Frist entsorgt werden. Die Rollerfirmen tragen demnach auch die Kosten, die bei den Kommunen für die Beseitigung anfallen.“

Kommunen fordern „Geofencing“ – BMVI noch im Prüfungsmodus

Außerdem fordern die Unterzeichner der Rahmenvereinbarung das BMVI auf, wildes Parken per Software über eine sogenannte „Geofencing-Funktion“ zu unterbinden. Städte und Kommunen sehen in der Anwendung auch den passenden Hebel, um eine automatische Tempodrosselung von E-Scootern zu erreichen, die in Verbotsbereiche, insbesondere Fußgängerzonen, einfahren.

Die Übereinkunft ist sicherlich gut gemeint, aber es bleibt abzuwarten ob den Worten auch Taten folgen werden. Fakt ist, die Vehikel werden nach wie vor zumeist kreuz und quer auf Bürgersteigen, an Straßenecken oder Plätzen abgestellt und behindern somit Verkehrsteilnehmer. Besonders verbreitet erscheint das Wildwest-Benehmen unter Touristen, die in den E-Rollern eine kostengünstige und unverbindliche Transporthilfe beim Sightseeing finden. Zur Rechenschaft können sie meist nicht gezogen werden – oft befinden sie sich zu dem Zeitpunkt bereits auf dem Heimweg.

Was das Geofencing betrifft, so wären die Verleihfirmen hierzu bereit und haben die Software längst an Bord, aber das BMVI lässt erst jetzt – fast ein halbes Jahr nach Zulassung der Gefährte – den zwingenden Einsatz einer solchen Funktion prüfen.

Betreiberfirma schickt Kunden-Knöllchen zurück

Wo die Bundesregierung zögert, verbindliche Regeln einzuführen, werden immerhin vereinzelt Betreiberfirmen aktiv: So ist beispielsweise von dem US-amerikanischen Unternehmen Lime zu hören, dass es Bußgeldbescheide seiner E-Scooter Nutzer künftig direkt an diese weiterreichen will. Des Weiteren werden Kunden von Lime verpflichtet, per Foto zu dokumentieren, dass Roller nach Nutzung ordnungsgemäß abgestellt wurden. Andernfalls läuft der Verleihvorgang so lange kostenpflichtig weiter bis das Foto eingestellt ist.

Keine Busspur für E-Scooter

Ein weiteres Beispiels für die kommunale Ignoranz gipfelte in Scheuers Vorschlag, Busspuren für E-Scooter freizugeben – eine Idee, die der Planung, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als grundlegende Alternative zum privaten Autoverkehr aufzubauen, vollkommen zuwider läuft. Nach zum Teil deutlichen Protesten von Kommunen und Polizei wurde das Vorhaben wieder kassiert.

Schlechtes Zeugnis der Umweltbehörde

Auch das umweltpolitische Credo, das der Minister gerne vor sich herträgt, hält einer näheren Betrachtung nicht wirklich stand. Die Zulassung der E-Roller soll „neue Formen der urbanen Mobilität“ ermöglichen und in Kombination mit dem ÖPNV eine „echte zusätzliche Alternative“ zum Auto schaffen, so die Verordnung von Juni.

Das Umweltbundesamt (UBA), Deutschlands zentrale Umweltbehörde, hegt starke Zweifel an diesem Anspruch. Die E-Roller sind derzeit „kein Gewinn für die Umwelt“ weil sie mehrheitlich den umweltfreundlicheren Fuß- und Radverkehr ersetzen, eine Substitution von kraftstoffbetriebenem Individualverkehr ist dagegen ausgeblieben. Nur ein „geringer Anteil“ der Rollerfahrten trägt zu einer Verkehrswende bei, bei der Auto- und Motorradfahrer auf den ÖPNV umsteigen, so das UBA.

Das rollende Ärgernis

Paris-Umfrage: Keine Substitution von PKW-Kraftfahrten

Auch im Ausland sieht es nicht anders aus: Eine Umfrage der Agentur für Umwelt- und Energiemanagement in Paris aus dem Frühjahr 2019 hat gezeigt, dass lediglich acht Prozent von fast 4.400 E-Roller-Nutzern eine Auto- oder Taxifahrt ersetzt haben, wogegen drei Viertel der Befragten ohne die Spaßmobile zu Fuß gegangen wären, beziehungsweise den ÖPNV genutzt hätten.

Brandgefahr bei falscher Entsorgung

Zu den möglichen strategischen Fehleinschätzungen kommt auch noch das Entsorgungsproblem. Lithium-Ionen-Akkus, die E-Roller betreiben, aber auch in Handys, Laptops oder Akkuschraubern zu finden sind, können sich selbst entzünden. Werden die Akkus bei der Entsorgung nicht fachgerecht verpackt, sondern beispielsweise einfach in die Gelbe Tonne oder die Restmülltonne geworfen, können sie explodieren und ganze Müllwagen, Betriebshöfe oder Entsorgungsanlagen in Brand setzen.

Entsorger fordern Pfandpflicht, Aufklärung

„Es vergeht keine Woche, in der es nicht irgendwo in Deutschland brennt, weil Lithium-Batterien nicht richtig entsorgt wurden“, warnt auch Peter Kurth, Präsident des Entsorgerverbands BDE. „Es muss jetzt etwas passieren, es kann kein Zustand sein, den wir länger akzeptieren.“ Der BDE fordert ein Pfandsystem für bestimmte Stromspeicher und verstärkte Aufklärung der Verbraucher.

Versicherer scheuen Risiko

Wegen der ständigen Brände findet REMONDIS, Branchenführer in Deutschland, nach eigenen Angaben inzwischen fast keine Versicherer mehr für seine Sortier- und Verwertungsanlagen. „Neben dem drohenden Verlust der Verwertungsinfrastruktur in Deutschland durch den Totalausfall systemkritischer Anlagen ist auch das Thema der Versicherbarkeit für alle Branchenteilnehmer äußerst kritisch“, sagt Gerhard Jokic, Geschäftsführer der REMONDIS Electrorecycling GmbH.

Bundesrat treibt Bundesregierung

Auch der Bundesrat ist mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass die Entsorgung der Akkus von E-Scootern besser geregelt werden muss. In einem Entschließungsantrag hat die Länderkammer die Bundesregierung aufgefordert, ein Pfandsystem für Antriebsbatterien einzuführen und Roller, deren Akkus nicht ausgetauscht werden können, zu verbieten.

EU-Vergleich: Deutschland Nachzügler bei Roller-Zulassung

Praktisch sämtliche Länder in Westeuropa hatten die E-Roller in ihren Hauptstädten bereits Monate vor der deutschen Zulassung freigegeben, was möglicherweise den Aktionismus in Berlin mitbeschleunigte. Städte wie beispielsweise Paris, Wien oder Lissabon waren schon vor dem 14. Juni 2019 überschwemmt mit Rollern der US-amerikanischen Fabrikate Bird und Lime, und deren Erfahrungen mit dem Betrieb und der Nutzung der neuartigen Zweiräder waren vielfach negativ.

Lissabon beklagt unsolide Roller-Einführung

„Auch bei uns ist die Einführung der E-Roller nicht ordentlich verlaufen“, sagt Sofia Cordeiro, Beraterin in Umwelt- und Klimafragen bei der Stadtverwaltung Lissabon, und verwies auf die Gesetzgebung der Nationalregierung aus der keine klaren Leitlinien für die bislang neun Verleihfirmen hinsichtlich Aufstellung und Betrieb der E-Roller hervorgingen. „Es zeigt sich, dass National- und Bezirksregierungen auf jeden Fall öfter miteinander sprechen sollten“, sagt Cordeiro. Seit vergangenem Winter sind die Tretroller in der portugiesischen Hauptstadt zugelassen.

Es stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit das Bundesverkehrsministerium diese kommunalen Erfahrungen überhaupt zur Kenntnis genommen hat? Ein schriftliches Gesuch hierzu ignorierte das BMVI geflissentlich, mit dem Verweis auf die publizierten Ziele und Eckpunkte der deutschen Zulassungsregelung.

Gebührenvorteil für Rollerfirmen

Der Wildwuchs der E-Roller wird zusätzlich befördert durch einen gebührentechnischen Aspekt: Nutzer der Leihmobile zahlen lediglich eine geringe Fahrtgebühr obwohl sie durch teils widriges, wildes Parken den öffentlichen Raum beanspruchen, während Bürger umfängliche Gebühren, beispielsweise für Abfall, Parken und Straßenreinigung schultern.

Weil die Städte die Bereitstellung von E-Rollern dem Gemeingebrauch zuordnen, entfällt für die Betreiberfirmen jegliche Gebühr für das Aufstellen der Gefährte im öffentlichen Raum. Wild geparkte Roller behindern zuweilen massiv Fußgänger, Rollstuhlfahrer und auch die Gehwegreinigung. „Alles was auf den Gehwegen herumsteht, erschwert natürlich die Reinigungsleistung“, sagt Sabine Thümler, Sprecherin der Berliner Stadtreinigung.

Fazit

Wären die kommunalen Belange konsequent beachtet worden, hätte die Zulassung der E-Roller durch das Bundesverkehrsministerium kaum erteilt werden dürfen. Die Missstände wären nicht entstanden wenn das BMVI bei der Entwicklung seiner Rechtsverordnung auf Empfehlungen der Basis gehört hätte. In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass das BMVI eine schriftliche Anfrage, inwiefern kommunale Verbände oder Interessensvertreter an der Gesetzgebung mitgewirkt haben, glatt ignoriert hat.

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