Nach Insolvenz Ende 2021: Neustart der Stadtwerke Bad Belzig GmbH im Frühjahr 2023

Von Prof. Dr. Michael Schäfer[1]

Zunächst skizziere ich das Insolvenzverfahren in seinen wichtigsten Etappen und bewerte im zweiten Teil des Textes das Ergebnis. Die Stadtwerke Bad Belzig GmbH versorgen als Mehrspartenunternehmen seit 1992 die Kreisstadt von Potsdam-Mittelmark (rund 11 000 Einwohner) mit Erdgas, Fernwärme und Trinkwasser und sind auch für die Entsorgung des Abwassers verantwortlich. Ihre zuverlässige Partnerschaft mit der Region stellen die Stadtwerke als technischer Betriebsführer von 18 Einrichtungen unter Beweis.

Die Schieflage des Unternehmens steht im engen Zusammenhang mit einer per se richtigen Entscheidung. Im Jahr 2018 begann das Unternehmen damit, einen eigenen Stromvertrieb als neues Geschäftsfeld aufzubauen. Von 2018 bis 2021 wurden rund 1 400 Haushalts-Stromkunden akquiriert. Zur Beschaffung der Strommengen ging der Ende 2018 neu eingestellte Alleingeschäftsführer zunehmend auch  Waren-Termingeschäfte ein. Ab 2021 realisierte er in immer größeren werdenden Dimensionen sogenannte Leerverkäufe. Dies verstieß gegen die definierten Risikokriterien und hätte der ausdrücklichen Genehmigung durch den Gesellschaftervertreter und den Aufsichtsrat bedurft, die damit aber nie befasst wurden.[2] Im September 2021 wurde dem Aufsichtsrat mitgeteilt, dass weder im Gas- noch im Strombereich ausreichend Energie beschafft wurde. Daraufhin wurde der Geschäftsführer per Beschluss beauftragt, diese Defizite unverzüglich auszugleichen. Später wurde festgestellt, dass dies nicht umgesetzt wurde. Eine Untersuchung brachte die bereits erwähnten Leerverkäufe des Geschäftsführers in der Stromsparte zutage. Wegen der stark gestiegenen Strompreise konnten die zu diesem Zeitpunkt benötigten Mengen mangels Liquidität nicht beschafft werden. Mit den Leerverkäufen waren Verbindlichkeiten in zweistelliger Millionenhöhe (Euro) entstanden.[3]

Wegen der gravierenden Verletzungen seiner Sorgfaltspflichten wurde dem Geschäftsführer Ende 2021 fristlos gekündigt und zudem eine Strafanzeige wegen Untreue erstattet. Die zuständige Staatsanwaltschaft Potsdam lehnte die Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen aber ab.

Nach der fristlosen Entlassung des Alleingeschäftsführers wurden die bisherigen Leiter Vertrieb und Technik als Geschäftsführer bestellt.

Der Stromvertrieb der Stadtwerke wurde noch im Dezember 2021 eingestellt. Die Stromverträge wurden vertraglich auf die Stadtwerke Potsdam übergeleitet.

Um die Tätigkeit der Stadtwerke in den vier verbliebenen Sparten zu  gewährleisten, gewährte Bad Belzig dem Unternehmen am 21. Dezember 2021 ein Masse-Darlehen in Höhe von 1,6 Millionen Euro.

Die Stadt als Gesellschafterin war darüber hinaus nicht in der Lage, die noch bestehenden hohen Verbindlichkeiten auszugleichen. Da dies absehbar war, hatte die Geschäftsführung unmittelbar nach dem Beschluss zum Masse-Darlehen, ebenfalls am 21. Dezember 2021, einen Antrag zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für die Stadtwerke beim Amtsgericht Potsdam eingereicht. Nachfolgend dokumentieren wir dessen Verlauf bis zum weitestgehenden Abschluss im April 2023.

Am 29. Dezember 2021 wurde vom Amtsgericht Potsdam das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung für die Stadtwerke Bad Belzig GmbH angeordnet. Zum vorläufigen Sachwalter wurde der Berliner Rechtsanwalt Dr. Jürgen Spliedt bestellt. Die Kanzlei Voigt-Salus, Leipzig, begleitet die Sanierung als Generalbevollmächtige der Stadtwerke.

Grundsätzlich waren zur Befriedigung der Gläubiger-Ansprüche zwei Varianten denkbar. Zum einen der separate Verkauf jeder der vier Sparten an vermutlich mehrere Bieter, was praktisch die Zerschlagung der kommunalen Stadtwerke als Leistungserbringer der Daseinsvorsorge bedeutet hätte. Die andere Option war der Erhalt der Stadtwerke in Gänze. Dazu wurde die Gewinnung eines externen Investors als Hauptweg definiert.

Schon im Februar 2022 zeichnete sich an, dass wegen des hohen Risikos nur wenige potentielle Investoren bereit sein würden, sich bei den Stadtwerken strategisch zu engagieren. Zu diesem frühen Zeitpunkt trat vor allem die Remondis-Gruppe als ernsthafter Verhandlungspartner in Erscheinung. Dies manifestierte sich vor allem in einem intensiven Austausch mit allen Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung (SVV) von Bad Belzig.[4] Schnelle Übereinstimmung wurde hinsichtlich der Zielsetzung, die Stadtwerke in Gänze zu erhalten, erzielt. Nur so konnten die Synergieeffekte aus dem Zusammenspiel der einzelnen Sparten erhalten werden. Zudem war die Bewahrung der bekannten und in der Bevölkerung weithin gewünschten Stadtwerkestrukturen auf lokaler politischer Ebene die Voraussetzung für einen breitestmöglichen Konsens bei allen späteren Entscheidungsfindungen.

Im März 2022 hatte Remondis ein sogenanntes Indikatives Angebot für den Erwerb der Stadtwerke abgegeben. Auf dieser Grundlage begannen die Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Bieter über einen Partnerschaftsvertrag und zur gemeinsamen Gründung einer Zweckgesellschaft, die später die Anteile an den Stadtwerken übernehmen sollte. Im Juni 2022 beschlossen die SVV Bad Belzigs und der Vorstand von Remondis jeweils einstimmig, dass sich beide Protagonisten im Rahmen einer Partnerschaft der Öffentlich-Privaten-Daseinsvorsorge (ÖPD) für den Erhalt der Stadtwerke engagieren. Das Bundeskartellamt stimmte der geplanten Beteiligung von Remondis im Sommer 2022 zu.

Danach war der Weg frei für die Erarbeitung eines Finanzierungskonzepts und die Beantragung von Bankdarlehen. Zügig genehmigte die Kommunalaufsicht das Finanzierungskonzept und die Gründung der ÖPD-Zweckgesellschaft, was Remondis die Abgabe eines verbindlichen Angebots zur Beteiligung an der Stadtwerken ermöglichte.

Auf dieser Basis erstellte der Sachwalter einen Insolvenzplan, der von der Gläubigerversammlung im Dezember 2022 mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Im Februar 2023 folgte dessen Bestätigung durch das Amts- und das Landgericht Potsdam. Damit war die Beteiligung von Remondis als Minderheitsgesellschafter (49 Prozent) an der Stadtwerke Bad Belzig GmbH besiegelt.

„Mit Eintreten der Rechtskraft des Insolvenzplans am 21. Februar 2023 ist das Fortbestehen der Stadtwerke Bad Belzig gesichert. Damit können die Mitarbeiter und Kunden des Unternehmens aufatmen,“, sagte Joachim Voigt-Saulus, der als Generalbevollmächtigter die Geschäftsführung der Stadtwerke Bad Belzig 2022 bei allen insolvenzrechtlichen Fragen unterstützte. Auch der vom Amtsgericht bestellte Sachwalter Dr. Jürgen Spliedt begrüßte die Entscheidung für den Insolvenzplan.

Mit Remondis sei ein namhafter Partner für den kommunalen Versorger gefunden worden, erläuterte Simon Leopold, der als Unternehmensberater den Investorenprozess verantwortet hatte. „Als Teil der operativen Sanierung haben wir einen strukturierten M&A-Prozess durchgeführt. Auch wenn die aktuelle Gesamtwirtschaftslage kompliziert ist, konnten wir mit mehreren möglichen Investoren Gespräche führen. Remondis legte das beste Gesamtkonzept vor“, zog Leopold Bilanz.

Diese zusammenfassenden Fakten zitieren wir aus einer Pressemitteilung der am Insolvenzverfahren Beteiligten. Aus Perspektive des Autors ist nachzutragen, dass ohne die strategische Mitwirkung eines privaten Investors die Stadtwerke Bad Belzig GmbH mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit dem separaten Verkauf der einzelnen Sparten zerschlagen worden wären. Wir reden von einem  funktions- und leistungsfähigen kommunalen Daseinsvorsorgeunternehmen, das ausschließlich wegen gravierender Fehlentscheidungen eines Allein-Geschäftsführers in die Schieflage geraten ist. Hätte das Unternehmen nicht überlebt, wäre das ohne Übertreibung ein Supergau für die Kommune und deren Bürger gewesen.

[1] Ich habe die Insolvenzgeschichte und deren glücklichen Ausgang auch für die zweite Auflage meines 2014 erschienenen Standardwerks „Kommunalwirtschaft. Eine gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Analyse“ umfassend recherchiert, analysiert und aufbereitet. Das aktualisierte und erweiterte Werk erscheint im Oktober 2023, bei Springer Gabler, Wiesbaden. Mein Blogbeitrag stützt sich auf wesentliche Fakten und Bewertungen des Unterkapitels 9.6 im genannten Buch. Präsentiert werden sie hier in einer populärwissenschaftlichen Diktion. Wer alle Details wissen will, muss auf das Erscheinen der zweiten Printauflage von „Kommunalwirtschaft“ Ende 2023 warten.

Die von mir recherchierten Fakten habe ich unter Einbeziehung von juristischem Sachverstand auf Plausibilität und die Kongruenz mit dem geltenden Insolvenzrecht überprüft. Die Darstellung der Ereignisse und deren Bewertung unterliegen ausschließlich der im Grundgesetz normierten Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre (Grundgesetz. 2019. Artikel 5, Absätze 1 und 3).

[2] Über die juristische Bewertung dieses Sachverhalts gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das manifestiert sich letztlich im Umgang der Strafanzeige gegen den Geschäftsführer, den wir in diesem Text dokumentieren. Ich hätte das anders gewichtet, in erster Linie wegen des enormen Schadens der weit über den Gegenstand des Insolvenzverfahrens hinaus entstanden ist. Denn es ging ja nicht nur um die Verluste im operativen Geschäft. Zudem wurde der Bestand eines funktionierenden Mehrsparten-Stadtwerkes, und das war die wichtigste Basis für die Erfüllung des Daseinsvorsorgeauftrages der Stadt, ernsthaft gefährdet.

[3] Ende des Jahres 2021 betrugen die Verbindlichkeiten rund 10 Millionen Euro. Wegen des hohen Anstiegs der Energiepreise erhöhten sie sich bis Ende Juni 2022 auf rund 38 Millionen Euro. Davon entfallen rund 32 Millionen auf Gläubiger im Kontext mit den Termingeschäften des entlassenen früheren Geschäftsführers, weitere 6 Millionen sind offene Forderungen unter anderem von Handwerksbetrieben, die nicht der Dynamik unterliegen wie die Forderungen der Gläubiger aus der Energiewirtschaft.

[4] Remondis deshalb, weil das Unternehmen der erste unter den potentiellen Investoren war, der nicht nur sein Interesse bekundet, sondern auch den Erhalt der Stadtwerke als primäre Option deklariert hatte.

Fazit des Autors:[1]

Vorab: Die Insolvenz der Stadtwerke Bad Belzig  ist der extrem seltene Einzelfall. Es gibt keine umfassende Statistik. Aber sowohl eine aktuelle Literaturrecherche als auch meine kleine Umfrage im Februar 2023 bei langjährigen Gesprächspartnern, die die deutsche Stadtwerke-Landschaft bestens kennen, erbrachte kein anderes Ergebnis: Die Insolvenzen der Stadtwerke Wanzleben, der Stadtwerke Gera AG (beide 2014) und Bad Belzig (2021/2022) sind mit großer Wahrscheinlichkeit die einzigen bei Stadtwerken seit 1945 in Deutschland. Das steht für Stabilität, Solidität, Professionalität dieses Typs kommunaler Unternehmen.

Zum Vergleich: 2021, also in dem Jahr, an dessen Ende die Stadtwerke Bad Belzig GmbH die Insolvenz anmeldeten, gab es in Deutschland insgesamt 14 300 Unternehmensinsolvenzen.

Für die Schieflage der vergleichsweise großen Mehrsparten-Stadtwerke Gera AG sind als Ursache einige Entscheidungen zu notieren, die aus späterer Perspektive wirtschaftlich nicht sinnvoll waren (hinterher ist man immer klüger), aber es gab keinen kriminellen Hintergrund, keinen Vorsatz, nicht einmal grobe Fahrlässigkeit. Das Hauptproblem war die hohe Verschuldung der Stadt. Entstanden nicht aus Misswirtschaft, sondern deshalb, weil Gera nach der Wende in besonders schlimmer Weise von der Deindustrialisierung des Ostens betroffen war. Das sind objektive Gründe, die niemandem angelastet werden können. Auf die Insolvenz der Stadtwerke Wanzleben muss hier nicht eingegangen werden, denn das Unternehmen war nur in der Energieproduktion tätig und geriet wegen des Ausfalls eines Blockheizkraftwerks – die Reparaturkosten im sechsstelligen Bereich konnten nicht dargestellt werden – in die Schieflage. Das Unternehmen wurde von einer Tochtergesellschaft der Stadtwerke Hannover übernommen.

Und Bad Belzig? Der Geschäftsführer, der nicht genehmigte  Leerverkäufe zur Strombeschaffung getätigt hat, handelte verantwortungslos. Das wiegt für mich besonders schwer, weil es um öffentliches Eigentum geht. Die Justiz sah das nicht als Straftat. Ich habe dazu, wohlgemerkt als Nichtjurist, eine andere Sicht. Für mich ist es aber auf jeden Fall ein moralisch unfassbares, schwer zu ertragendes Fehlverhalten, das eine ganze Stadt mit ihren Bürgern über viele Monate beschäftigt und auch erschüttert hat. Aber die gute Botschaft gibt es auch. Die Organisation selbst – keine externen Dritten – hat die Spekulation in Ausübung ihrer Kontrollpflichten entdeckt und schnelle und richtige Maßnahmen getroffen. Beide Beispiele zeigen übrigens auch, dass das Schwarz-Weiß-Schema zur Bewertung derart komplexer Sachverhalte untauglich ist. Hier verbietet sich die reißerische Schlagzeile ebenso wie die Dreizeilen-Tweet auf Twitter. Deshalb fordere ich zur weiteren Aufarbeitung Objektivität und Sachverstand. Nun zu meinen Anmerkungen im Einzelnen:

(1) Die Stadtwerke Bad Belzig GmbH, die im Februar 2023, also zum Zeitpunkt, an dem die Fortexistenz des Unternehmens besiegelt wurde, über 30 Jahre bestehen, sind ein solides und stabiles Unternehmen der kommunalen Daseinsvorsorge. Sie genießen deshalb im Land Brandenburg zu Recht einen guten Ruf. An dieser Einschätzung ändert die Tatsache nichts, dass die Stadtwerke in die hier dokumentierte „Schieflage“ geraten sind. Es handelt sich im Sinne eines bekannten geflügelten Wortes um „zwei grundverschiedene Paar Schuhe“. Dafür steht auch, dass die gravierende Verletzung der Sorgfaltspflicht durch den Alleingeschäftsführer innerhalb der Unternehmensstrukturen durch den Aufsichtsrat und den Gesellschaftervertreter aufgedeckt wurden. Das spricht für intakte Kontroll- und Aufsichtsstrukturen. Die umgehend eingeleiteten Maßnahmen sind konsistent und konsequent, was den involvierten Amts- und Mandatsträgern und den beteiligten Mitarbeitern des Unternehmens ein gutes Zeugnis ausstellt.

(2) Es erweist sich einmal mehr, dass solche „Störfälle“ in kommunalen Unternehmen die Ausnahme von der Regel sind. Schon wegen der umfassenden demokratischen Kontrolle und ihrer Transparenz – jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle – sind Insolvenzen in absoluten Zahlen und noch mehr in Relation zur großen Zahl der Unternehmen solitär. Ich erinnere an die „Prophezeiung“, dass die EU-weite Liberalisierung der Energiemärkte Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts ein massenhaftes „Stadtwerkesterben“ zur Folge haben werde. Das Gegenteil war der Fall. Die mittelständisch geprägten kommunalen Versorger bewältigten die Transformation vom Monopol zum Markt in den meisten Fällen flexibler als die großen Konzerne. Das kann man als objektiven strukturellen Beleg für die Krisenresistenz der Kommunalwirtschaft werten. Diese These wird dadurch gestützt, dass die wenigen Einzelfälle nahezu ausschließlich subjektive Ursachen hatten. Dafür steht auch das Beispiel Bad Belzig. Gegen verantwortungsloses Handeln von Führungskräften ist kein Kraut gewachsen. Das gilt ebenso für kriminelle Handlungen[2]. Denn auch dort ist es die schlagzeilenträchtige Ausnahme, wenn sich kommunale Führungskräfte das eigene Portemonnaie füllen. So geschehen in den Stadtwerken Brandenburg an der Havel. Dort wurde im Jahr 2013 aufgedeckt, dass sich der Alleingeschäftsführer über einen Zeitraum von fünf Jahren durch kriminelle Machenschaften bei der Auftragsvergabe um rund eine Millionen Euro illegal bereichert hat. Bei raffinierten Deals um die Lieferung von Biogas füllten sich auch die beteiligten privaten Auftragnehmer die Taschen.

Wenn wie in Bad Belzig Aufsicht und Kontrolle funktioniert haben, sind meines Erachtens die üblichen reflexhaften Reaktionen symbolisch und aktionistisch. An einem noch dickeren Compliance-Handbuch verdienen die Berater gut. Praktischen Nutzen bringt es nicht, schon deshalb, weil das Regelwerk dieses aufgeblähten Konvoluts praktisch gar nicht exekutiert werden kann. Es spricht aber viel dafür sicherzustellen, dass das Vieraugenprinzip in den Stadtwerken Bad Belzig für die Zukunft exakt definiert ist. Dazu muss vor allem bestimmt werden, in welchen Fällen und bei welchen Größenordnungen von Verträgen und Vergaben es unter Androhung scharfer Sanktionen angewendet werden muss, und wie es engmaschig zu kontrollieren ist.

(3) Auch als rationale denkender Wissenschaftler darf ich mich darüber freuen, dass es gelungen ist, das kommunale Daseinsvorsorgevermögen der Stadtwerke Bad Belzig GmbH in Gänze zu erhalten. Diese Strukturen sind nicht nur integraler Teil der kommunalen Selbstverwaltung, sondern auch deren materielle Basis. In der Stadt Bad Belzig waren die Stadtwerke seit 1992 Garant für gute Daseinsvorsorge, und zudem für solide Gewinne, von denen verlässlich auch Ausschüttungen in die städtischen Haushalte flossen.

Dies unterstreicht auch Harald Jahnke, Geschäftsführer der Stadtwerke Prenzlau GmbH, und Vorsitzender der Landesgruppe Berlin-Brandenburg des Verbands kommunale Unternehmen (VKU).[3] „Viele Bürgermeister von Städten haben sich nach dem 1992 vor dem Bundesverfassungsgericht für Ostdeutschland geschlossenen Stromvergleich gegen die Gründung eigener Stadtwerke entschieden und sich stattdessen an Regionalversorgern beteiligt. Von denen höre ich immer häufiger, dass sie die damalige Entscheidung bedauern und fast neidisch auf die Kommunen schauen, die die andere Option genutzt haben. Für die Daseinsvorsorge vor Ort hat ein eigenes Stadtwerk eine ganz andere Qualität: Direkte Einflussnahme auf die Erbringung der Leistungen, auf die Preise, auf die Erträge und deren Verwendung.“ Jahnke illustriert das am Beispiel Gaspreis: „Wir haben für den größeren Teil des Bedarfs langfristige Bezugsverträge abgeschlossen. Deshalb können wir unseren Kunden diese Energie zu Preisen verkaufen, die sehr deutlich unter den derzeitigen Konditionen auf dem Markt liegen. Auch wegen dieser Gestaltungsspielräume begrüße ich es nachdrücklich, dass die Stadtwerke Bad Belzig nach Abschluss des Insolvenzverfahrens als Mehrsparten-Unternehmen weiter ihren Daseinsvorsorgeauftrag erfüllen, Erträge generieren können und die Kommune Mehrheitsgesellschafter bleibt. Jeder andere Ausgang wäre für die Stadt kaum zu verkraften gewesen, aktuell, aber vor allem auch mittel- und langfristig“.

Helmut Preuße, von 1991 bis 2018 Geschäftsführer der Stadtwerke Schwedt GmbH und von 2002 bis 2018 Vorsitzender der VKU-Landesgruppe Berlin-Brandenburg ergänzt: „Eine Zerschlagung der Bad Belziger Stadtwerke wäre wider alle Vernunft gewesen. Denn das Unternehmen ist stabil und ertragsstark und hat das über Jahrzehnte bewiesen. Wer den besonderen Stellenwert der Daseinsvorsorge in den Kommunen kennt, musste alles für den Erhalt des Unternehmens tun. Ich weiß, dass die Handlungsspielräume in einem Insolvenzverfahren eingeschränkt sind. Aber der Erhalt des Unternehmens musste oberste Priorität haben. Unter dieser Prämisse kam unter großem Engagement der beteiligten Partner der Erfolg, also der Erhalt der Stadtwerke, zustande.“

Der Autor weist nach diesen Einordnungen ergänzend darauf hin, dass die Zahl der kommunalen Pflichtaufgaben wächst. Die Bedingungen zu ihrer Erfüllung werden immer komplizierter. Die Stichworte lauten Energiewende, Klimawandel, Digitalisierung, demografischer Wandel und aktuell Ukrainekrieg und Energiekrise. Gleichzeitig aber nimmt die langwährende strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen in der Tendenz sogar noch zu. Deshalb muss die von mir seit vielen Jahren geforderte Einheit von kommunaler Daseinsvorsorge-Verantwortung einerseits und Eigentum, Miteigentum oder zumindest starken Mitwirkungsmöglichkeiten bei privater Aufgabenerledigung andererseits, als elementarer Grundsatz konsequent durchgesetzt werden. Dafür stehen vor allem ertragsstarke Stadtwerke. Für diese herausgehobene Stellung gerade in den neuen Bundesländern hat der Autor im Jahr 2006 die Formel „Stadtwerke – die Leuchttürme der ostdeutschen Wirtschaft“ geprägt. Diese Pointierung ist auch ein Appell an die Kommunalaufsichten, diesen Status bei ihren Bewertungen besonders zu beachten.

Wenn das Geld von Bund und Ländern nicht reicht, muss die kommunale Erbringung nicht ausfinanzierter Pflichtleistungen durch leistungsfähige kommunalwirtschaftlich Strukturen unterstützt werden, deren Rahmenbedingungen vom Bund und den jeweiligen Ländern normiert werden. Diese Regeln müssen die besondere Bedeutung der Kommunalwirtschaft im Auge haben und die kommunale Organisationshoheit respektieren. Für beide Aspekte besteht Optimierungsbedarf.

(4) Das Beispiel Bad Belzig zeigt auch, dass die betroffenen Kommunen im „Ernstfall“ im geltenden Insolvenzrecht keine faktischen Möglichkeiten besitzen, um den Ausgang von Insolvenzverfahren im Sinne der unter Punkt 3 formulierten Postulate zu beeinflussen. Wenn für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge das Primat der Nutzenstiftung gilt – das habe ich zuletzt zusammen mit meinem Ko-Autoren Ludger Rethmann in zwei Büchern zur Öffentlich-Privaten Daseinsvorsorge hergeleitet und begründet – dann muss unter dieser Prämisse das Insolvenzrecht für den Sonderfall kommunale Daseinsvorsorge-Unternehmen ergänzt werden.[4] Das fordert der Autor seit vielen Jahren. Er findet damit viel Zustimmung, aber er konstatiert auch große Stagnation bei der Umsetzung. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) agiert seit vielen Jahren mit dem Motto „Meine Stadtwerke“. Übersetzt heißt das, dass diese Unternehmen im weiteren Sinne tatsächlich Eigentum der Bürger der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaften sind. Dieser Status kann am Ende eines Insolvenzverfahrens quasi von einem Tag zum anderen beendet sein. Fremde Dritte sind dann Eigentümer. Im Falle der Zerschlagung – das war in Bad Belzig eine ernsthafte Option – dann gibt es in der schlechtesten Variante bei vier Sparten auch vier Eigentümer, mit denen der kommunale Aufgabenträger die Daseinsvorsorge für seine Bürger mit sehr geringen Möglichkeiten der direkten Intervention aushandeln muss. Was real so ausgehen kann, verstößt ganz elementar gegen die Essentials der kommunalen Selbstverantwortung und der Daseinsvorsorge.

Eingeschränkt ist die kommunale Entscheidungshoheit übrigens auch bei der Veräußerung von Anteilen eines kommunalen Unternehmens mit dem Ziel der Etablierung einer gemischtwirtschaftlichen Struktur (möglichst mit kommunaler Mehrheit). Hier fordert das Vergaberecht für bestimmte Branchen ein transparentes Auswahlverfahren unter mehreren Varianten, dessen Ergebnis unter bestimmten Umständen sogar beklagt werden kann. Die Etablierung eines gemeinsamen Unternehmens ist eine strategische auf lange Fristen angelegte Entscheidung, die durchaus mit dem Schließen einer Ehe verglichen werden kann. Partnersuche per Ausschreibung? Das klingt grotesk, aber für die Suche eines Unternehmenspartners ist in einigen Bereichen der kommunalwirtschaftlich Betätigung genau das vorgeschrieben. Es erschließt sich mir nicht, warum eine Kommune unter Hinweis auf ihre Organisationshoheit im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung nicht selbst entscheiden kann, mit welchem anderen Unternehmen sie ihre Daseinsvorsorgeaufgaben besser erfüllen kann als allein. Natürlich auf demokratischen Wege. Aber gibt es ein höheres Mandat als den Beschluss des Stadtrates, der in dieses Verfahren von Anfang bis Ende umfassend eingebunden sein muss? Das ist für jeden ernsthaften Demokraten eine rein rhetorische Frage. Die Praxis sieht leider anders aus.

(5) Der weitgehende Ausschluss der Kommune, hier die Stadt Bad Belzig, aus der Mitwirkung am Verkauf ihres insolventen Stadtwerks, ist leider aktuell die Rechtslage. Gerade deshalb empfehle ich die wenigen Optionen zumindest zur indirekten Mitwirkung zum Gegenstand einer intensiven in- und externen Kommunikation zu machen. Das muss in den Gremien passieren, aber auch direkt mit den Bürgern. Wenn die Mehrheit der relevanten Entscheidungsträger in der Kommune dafür ist, das Stadtwerk in seiner derzeitigen Struktur zur erhalten, also seine Zerschlagung zu verhindern, und hier zumindest ein kommunales Mehrheitseigentum zu sichern, dann muss das an die Bürger kommuniziert und mit ihnen auch diskutiert werden. Adressaten solcher grundsätzlichen Positionierungen sind aber auch die Entscheider in der Kommunalaufsicht, die innenpolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen bis hin zu denen, die das Insolvenzverfahren führen. Wenn die Bürger ein solches Ergebnis mehrheitlich wollen, dann muss das auch für das Insolvenzverfahren zur Kenntnis genommen werden.

Zudem stellt eine solche strukturierte Kommunikation auch die dringend gebotene Objektivierung sicher. Leider haben auch zum Vorgang um die Stadtwerke Bad Belzig in den tradierten wie den sozialen Medien einige Diskussionen stattgefunden, die nicht sachgerecht, emotional oder mit ideologischer Prägung geführt wurden. Dies hat mit einiger Sicherheit dazu beigetragen, dass der amtierende Bürgermeister am 11. Dezember 2022 durch die wahlberechtigten Bürger von Bad Belzig abgewählt wurde. Ich wiederhole an dieser Stelle, dass die vielen in die Führung der Stadtwerke involvierten kommunalen Amts- und Mandatsträger, darunter auch der Bürgermeister, nach meiner Einschätzung – siehe Punkt 1 – eine gute Arbeit geleistet und die Interessen der Bürger konsequent vertreten haben. In Bad Belzig bestehen überschaubare konsistente Strukturen der kommunalen Daseinsvorsorge. Im diesem Verbund gibt es neben den Stadtwerken das kommunale Wohnungsunternehmen (rund 1 200 Wohnungen, eine größere Anzahl Gewerbeimmobilien und eine beachtliche Zahl an Fremdverwaltungen) und die Bad Belziger Kur GmbH (Bäderbetrieb). Diese Konstellation bietet bei kluger Kooperation der Beteiligten sehr große Synergiepotenziale. Für deren Erschließung ist das Stadtwerk in kommunalem Eigentum oder auch Mehrheitseigentum eine elementare Voraussetzung.

(6) Für den Erhalt der kommunalen Stadtwerke in seiner gewachsenen Struktur war die Etablierung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens in der Nachbetrachtung die einzige realistische Option. Das hat der Verlauf des Insolvenzverfahrens eindeutig gezeigt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die von mir 2020 für das Gabler Wirtschaftslexikon vorgenommene Bestimmung des neuen Begriffs Öffentlich-Private Daseinsvorsorge (ÖPD).

(7) Zu einem frühen Zeitpunkt – der Ausgang des Insolvenzverfahrens war noch höchst ungewiss – hatten sich die Stadt Bad Belzig und der potenzielle strategische Partner aus der Privatwirtschaft, Remondis, darauf verständigt, die Grundsätze ihrer angestrebten Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Unternehmen in einem verbindlichen Partnerschaftsvertrag zu normieren. Dieser Kodex wurde im Juni 2022 einstimmig von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet. Er definierte also schon weit vor dem Abschluss des Insolvenzverfahrens solche Eckpunkte wie die kommunale Mehrheit in der Gesellschaft, den Vorrang der Aufgabenerledigung vor der Maximierung von Erträgen und das Primat der Daseinsvorsorge und der damit einhergehenden Gemeinwohlorientierung.

Beide Partner bekennen sich in diesem Vertrag zudem dazu, dass die kommunale Selbstverwaltung der zentrale Rahmen für die Entwicklung des Unternehmens der Öffentlich-Privaten Daseinsvorsorge (ÖPD) ist. Abgeleitet daraus wird die Etablierung eines Aufsichtsrats normiert, der sich vorrangig auf die Kontrolle und die strategische Führung des Unternehmens konzentrieren soll.

Für die Willensbildung in der Stadtverordnetenversammlung und vor allem für die hohe Akzeptanz des angestrebten ÖPD-Unternehmens mit kommunaler Mehrheit war dieses sehr frühe Bekenntnis zu den genannten Essentials eine zentrale Voraussetzung. Es begründete ein  stabiles Vertrauensverhältnis zwischen dem kommunalen und dem privatwirtschaftlichen Partner.[5]

Damit ein solches Unternehmen auf lange Sicht Erfolg hat, musste der private Partner folgende grundlegenden Voraussetzungen erfüllen:

Erstens muss er über alle fachlichen Voraussetzungen verfügen, die für die derzeitige Aufgabenstruktur (Wasser / Abwasser / Gas / Fernwärme) der Stadtwerke bestehen.

Zweitens mussten in seinem Portfolio möglichst auch weitere Daseinsvorsorgekompetenzen vorhanden sein, mit denen die dringend gebotene Weiterentwicklung der Stadtwerke auf angrenzenden Feldern ermöglicht werden kann.

Drittens musste er vor allem bezogen auf seine Renditeerwartungen auch langfristig akzeptieren, dass in der kommunalen Daseinsvorsorge die qualifizierte Erfüllung der Aufgaben immer das Primat vor der Maximierung des Gewinns haben muss.

Viertens schließlich folgt aus diesem Primat und der Aufgabenträgerschaft der Kommune, also ihrer Verantwortung für die Erledigung, dass er akzeptieren muss, dass die Kommune das letzte Wort hat. Am besten wird dies sichergestellt, wenn sie in der gemeinsamen Gesellschaft über die Mehrheit am Eigentum also mindestens 51 % verfügt.

Alle diese vier Prämissen erfüllt Remondis als der private strategische Partner/Gesellschafter der Stadtwerke Bad Belzig GmbH.

Ich habe mich in den Prozess der Etablierung des ÖPD-Unternehmens gegenüber der Stadtverordnetenversammlung und dem Bürgermeister[6] eingebracht. Das wohl wichtigste Ergebnis war die von mir erarbeitete Grundstruktur eines Partnerschaftsvertrags für Unternehmen der Öffentlich-Privaten Daseinsvorsorge. Für dieses Papier habe ich grundlegende Prinzipien für das Zusammenwirken in einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen formuliert und auf dieser Grundlage auch an der konkreten Fassung des Vertrags in Bad Belzig mitgewirkt.[7]

Neben der hier vorgenommenen wissenschaftlichen Evaluierung hat auch die private Perspektive auf die Minderheitsbeteiligung eine hohe Relevanz. Ich habe deshalb – vor allem mit dem Blick auf den praktischen Nutzwert dieses Blogbeitrages – den leitenden Mitarbeiter von Remondis, der das gesamte Verfahren kontinuierlich geführt und begleitet hat, um eine Bewertung gebeten. Sie kommt aus der Feder von Dr. Kristian Kassebohm, Geschäftsführer der Remondis Wasser & Energie GmbH.

Insolvenzverfahren kommunaler Unternehmen am Beispiel der Stadtwerke Bad Belzig (SWBB)

Von Dr. Kristian Kassebohm[8]

Ende 2021 beantragte die Geschäftsführung der Stadtwerke Bad Belzig GmbH (SWBB) die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Bis zum rechtswirksamen Inkrafttreten eines Insolvenzplans im Februar 2023 sollten 14 Monate vergehen. Am Ende war Bad Belzig zwar nicht mehr Alleingesellschafterin der Stadtwerke. Die Stadt konnte das Unternehmen aber in Gänze erhalten, blieb mit 51 Prozent weiter Mehrheitsgesellschafterin und gewann mit der Remondis-Gruppe einen Partner zur Weiterentwicklung der städtischen Daseinsvorsorge. Nachfolgend einige Erfahrungen:

  1. Aufgaben- und Interessengegensätze

Eine Insolvenz in Eigenverwaltung bietet die Möglichkeit, dass Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat und Geschäftsführung weiter im Amt bleiben und ihre Aufgaben verantwortlich ausüben. Der Insolvenzverwalter nennt sich hier auch etwas „harmlos“ Sachwalter. Der Sachwalter hat aber nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Überwachung der Geschäftsführung. Dazu gehört insbesondere die Prüfung der Liquiditätsplanung bzw. die Überwachung des Zahlungsverkehrs. Außergewöhnliche Geschäfte dürfen nur mit seiner Zustimmung und gewöhnliche Geschäfte dürfen nicht gegen seinen Widerspruch erfolgen. Anderenfalls sind die Geschäfte zwar im Außenverhältnis wirksam, die Geschäftsführung träfe aber ein besonderes Haftungsrisiko.

Ein Stadtwerk hat typischerweise der Daseinsvorsorge bzw. den Zielen nach § 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verpflichtet zu sein. Ein Sachwalter handelt zwar auch im Rahmen dieser Normen. Dessen Hauptaufgabe ist aber der Gläubigerschutz und die damit verbundene kurzfristige Sicherung der Insolvenzmasse. Daraus können erhebliche Interessen- und Zielkonflikte entstehen – und natürlich viele Meinungsverschiedenheiten mit den kommunalen Aufgabenträgern.

  1. Massedarlehen

Tritt eine Insolvenz überraschend bzw. besonders schnell ein, kann es erforderlich werden, dass ein kommunaler Anteilseigner dem Stadtwerk kurzfristig ein sogenanntes Massedarlehen nachschießen muss. Zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit der SWBB musste Bad Belzig z.B. gleich zu Beginn der Insolvenz 1,6 Millionen Euro als Massedarlehen gewähren um den laufenden Geschäftsbetrieb sicher zu stellen.

Solche Massedarlehen sind später gegenüber anderen Forderungen von Gläubigern zwar privilegiert und vorrangig auszugleichen. Eine Garantie, dass das Geld zurückfließt, gibt es aber nicht. Die Rückzahlung ist abhängig vom individuellen Verfahrensausgang. Die Kommunalaufsicht, die einer Kommune einen solchen Kredit regelmäßig genehmigen muss, wird das vorab sehr genau prüfen.

Im Falle der SWBB gelang die vollständige Rückführung des Massedarlehens an die Stadt nebst vereinbarter Zinsleistungen. Das änderte aber nichts daran, dass diese Mittel zeitweilig an anderer Stelle als ursprünglich vorgesehen gebunden waren.

  1. Kreditwürdigkeit

Es entspricht einer allgemeinen Tendenz, dass Banken gegenüber Stadtwerken zögerlicher bei der Darlehensgewährung werden bzw. Zinsen und Sicherheiten in die Höhe gehen. Das gilt erst recht bei Stadtwerken, die in einer ernsten Krise stecken. Bei einer Insolvenz ist schließlich zu erwarten, dass keine Bank mehr bereit sein wird, Kredite zu vergeben, da deren Rückzahlung bestenfalls auf eine Gläubigerquote beschränkt sein dürfte. In den rund 14 000 Unternehmensinsolvenzen in 2021 lag die durchschnittliche Gläubigerquote bei ca. 4 bis 5 Prozent.

Im Falle der SWBB lag sie immerhin bei 5,3 Prozent. Aber auch dies verbesserte die Kreditwürdigkeit des Unternehmen nicht wirklich. Im Ergebnis mussten alle Investitionen, Instandhaltungsmaßnahmen und sonstigen zahlungswirksamen Aufwendungen liquiditätsseitig aus der Innenfinanzierung getätigt werden. De facto wurde damit das wöchentliche, eher: das tagesscharfe Liquiditätsmanagement zur zentralen Steuerungsgröße.

  1. Energiebeschaffung

Seit Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine kam es zu erheblichen Verwerfungen auf dem Energiemarkt im Allgemeinen und in der Energiebeschaffung bzw. dem Energiehandel im Besonderen. Selbst namhafte und wirtschaftlich gut positionierte Energieversorgungsunternehmen mussten Liquiditätshilfen von Banken oder ihren öffentlichen Gesellschaftern in Anspruch nehmen. Im Falle bestandsgefährdeter Stadtwerke potenziert sich dieses Problem. Zum einen sind Banken wie erwähnt nur noch eingeschränkt bereit, Kreditlinien zu erweitern. Zum anderen verlangen Marktpartner stärkere Sicherheiten, insbesondere Vorkassenregelungen, Bürgschaften oder Eigenkapitalmaßnahmen.

Mit dem Eintritt der Insolvenz der SWBB konnte Erdgas nur noch gegen 100 Prozent Vorkasse eingekauft werden. Im Winter 2022/23 betrugen die Beschaffungszeiträume teilweise nur wenige Wochen im Voraus. Mit Hilfe der Enervie AG, Hagen, (ÖPD-Unternehmen von Hagen, Lüdenscheid und weiteren Kommunen in NRW mit Remondis) wurde das Beschaffungswesen bereits während des noch laufenden Insolvenzverfahrens kurzfristig unterstützt und langfristig vertraglich-wirtschaftlich neu aufgestellt.

  1. Finanzierung des Sanierungsbeitrags

Grundsätzlich sind zur Befriedigung der Gläubiger-Ansprüche in einem Insolvenzverfahren zwei Varianten denkbar: Erstens der separate Verkauf von Einzelteilen oder Sparten (Asset-Deal). Praktisch hat das die Zerschlagung eines Unternehmens zur Konsequenz. Zweitens,  der Verkauf eines Unternehmens in Gänze (Share-Deal).

In beiden Fällen muss der Erwerber einen entsprechenden Kaufpreis finanzieren. Das ist im  insolvenzrechtlichen Jargon der „Sanierungsbeitrag“. Bei der Kreditvergabe sind hier die Banken ebenfalls sehr restriktiv. Sie müssen also davon überzeugt werden, dass die Zukunft der Stadtwerke gegenüber dem Krisenstatus deutlich besser sein wird.

Im Falle der SWBB war hilfreich, dass Bad Belzig und Remondis auch ein gemeinsames Finanzierungskonsortium geschmiedet hatten. So gründeten sie die Bad Belzig Beteiligungsgesellschaft mbH (BBB) und statteten diese mit Eigenkapital aus. Das restliche Fremdkapital konnte ohne zusätzliche Bürgschaften oder andere Sicherheiten der beiden Gesellschafter eingeworben werden. Allerdings mussten die SWBB mit in den Finanzierungsvertrag eintreten und Grundschulden als Sicherheiten bestellen. Die BBB war es dann auch, die formaljuristisch das Angebot zum Erwerb der Anteile an der SWBB abgab und später den Zuschlag erhielt.

Im Detail sind diese Finanzierungsthemen recht komplex und nur mit kompetenten Erfahrungsträgern beherrschbar. Eine Kommune muss sich also spätestens an dieser Stelle entscheiden: Vertraue ich auf Berater, die viel Geld kosten und schnell wieder weg sind? Oder vertraue ich auf einen Partner, der langfristig an meiner Seite bleibt und alle Konsequenzen der aktuellen Entscheidungen langfristig mitträgt? Bad Belzig hat sich bekanntlich für die langfristige Variante entschieden.

  1. Politische Dimension

Unternehmenskrisen, insbesondere bei kommunalen Unternehmen der Daseinsvorsorge, entfalten Öffentlichkeitswirksamkeit und haben daher eine signifikante politische Dimension. Die Repräsentanten und öffentlichen Aufgabenträger stehen im Rampenlicht von Presse und sozialen Medien.

In Bad Belzig traten mehrere Stadtverordnete von ihren Aufsichtsratsmandaten bei der SWBB im Sommer 2022 zurück. Der Bürgermeister wurde im Dezember 2022 abgewählt. Es gründete sich ein „Runder Tisch Energie“, und es gab Strafanzeigen und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren. Dabei spielte es im öffentlichen Diskurs nie eine nennenswerte Rolle, dass weder Staatsanwälte, noch Wirtschaftsprüfer, noch Sachwalter, noch Investoren, noch Banken, noch die Kommunalaufsicht Pflichtverletzungen von Aufsichtsräten oder öffentlichen Mandatsträgern festgestellt haben.

Einzige Ausnahme blieb ein zivilrechtlicher Schadenersatzprozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer. Aber auch gegen diesen wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingestellt.

Bei alledem litten die betroffenen Persönlichkeiten, ebenso das Image der Stadtwerke. So ist der Schaden einer Unternehmenskrise nicht nur monetär, sondern auch ideell-emotional zu bemessen. Bad Belzig und Remondis hat diese Krise dagegen geeint. Und das ist Hoffnung und Ansporn für die gemeinsame Zukunft des jüngsten Unternehmens der Öffentlich-Privaten Daseinsvorsorge in Deutschland, die Stadtwerke Bad Belzig GmbH.

„Aufatmen in  Bad Belzig“ – Einhellige Zustimmung zur Rettung der Stadtwerke mit einem strategischen Partner

Die hier in allen wichtigen Details dokumentierte Rettung der Stadtwerke Bad Belzig GmbH fand nicht nur bei den Bürgern und den kommunalen Gremien große Zustimmung. Bemerkenswert ist auch die einhellig positive mediale Diktion. Die rege Berichterstattung vor allem in den regionalen Medien kann hier nicht umfassend dokumentiert. Wir haben einige Aussagen ausgewählt, die repräsentativ für die Berichterstattung sind:

  • „Insolvente Stadtwerke Bad Belzig: Remondis hat schlüssiges Konzept“ (Märkische Allgemeine, 17. 02. 2022)
  • „Die Fortführung der Geschäfte nach Abschluss der Insolvenz könnte auch für andere Stadtwerke beispielhaft sein“ (Der Neue Kämmerer, 28. 02. 2022)
  • „In Bad Belzig stehen die Zeichen auf Rot. Das bedeutet aber keinen Stopp, sondern ein Go und bezieht sich auf die Hausfarbe von Remondis. Im Rathaus der brandenburgischen Kreisstadt steht man dem Unternehmen aus dem westfälischen Lünen schon aufgrund seiner bekannten Wirtschaftskraft positiv gegenüber.“ (Das Entsorgungsmagazin, 16. 07. 2022)
  • „Aufatmen in Bad Belzig. Die Sanierung der Stadtwerke über einen Insolvenzplan ist geglückt. Remondis steigt als neuer starker Partner mit ein.“ (Zeitung für Kommunale Wirtschaft – ZfK, Mai/2023)

[1] Der Autor ist seit Konstituierung des neuen Aufsichtsrats der ÖPD Gesellschaft Stadtwerke Bad Belzig GmbH im März 2023 dessen Mitglied.

[2] Diese Aussage ist weitgehend unabhängig davon, in welchen Eigentumsformen sich die Unternehmen befinden.

[3] Der Landesgruppe Berlin-Brandenburg gehören aktuell (Stand Februar 2023) 73 Unternehmen an. Der VKU hat insgesamt 1 500 Mitgliedsunternehmen. Davon sind rund 800 Stadtwerke, nahezu 100 % aller in Deutschland existierenden Unternehmen dieses Typs.

[4] In diesen beiden Büchern finden sich auch umfangreiche und viel beachtete Bestandsaufnahmen zu gemischtwirtschaftlichen Unternehmen in der kommunalen Daseinsvorsorge: Schäfer M Rethmann L,  Öffentlich-Private Partnerschaften. Auslaufmodell oder eine Strategie für kommunale Daseinsvorsorge und Öffentlich-Private Daseinsvorsorge in Deutschland (ÖPD), beide Springer Gabler, 2020

[5] Unter Hinweis auf die jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen des Autors und ergänzende Recherchen zur Anwendung des Instruments Partnerschaftsvertrag gibt es Grund zu der Annahme, dass diese verbindliche Formulierung von Essentials sehr früh vor der eigentlichen juristischen Etablierung der Strukturen ein Erfolgsfaktor für die Begründung von ÖPD-Unternehmen ist. Nach Kenntnis des Autors wird mit diesem Partnerschaftsvertrag Neuland betreten.

[6] Das Engagement erfolgte ehrenamtlich.

[7] Zentrale Prämisse ist das Primat der Daseinsvorsorge. Daraus wurden Prinzipien wie eine kommunale Mehrheitsbeteiligung, der Vorrang der Aufgabenerledigung vor einer Gewinnmaximierung und die Verantwortung des mandatierten Aufsichtsrats für die strategische Führung des Unternehmens abgeleitet. Ein solcher Partnerschaftsvertrag wie er zwischen der Stadt Bad Belzig und dem privaten Minderheitsgesellschafter der Stadtwerke, Remondis, abgeschlossen wurde, ist nach meinem Kenntnisstand ein neues Instrument für gemischtwirtschaftliche Unternehmen in der kommunalen Daseinsvorsorge. Er war auch eine wichtige Grundlage für die Konstituierung des neuen Aufsichtsrats der Stadtwerke Bad Belzig GmbH im März 2023. Das Gremium wird sich auf seiner dritten Sitzung im September 2023 – diese findet beim privaten Gesellschafter Remondis in Lünen statt – umfassend mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens beschäftigen. Grundlage ist ein Impulskonzept der Geschäftsführung.

[8] Dr. Kassebohm ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Bad Belzig GmbH.

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