Produzieren für den Kreislauf
Misserfolge sind immer dann besonders ärgerlich, wenn eigentlich viel mehr drin war. Wenn bestehende Potentiale nicht zur Anwendung gelangten und man unter seinen Möglichkeiten blieb. Das gilt natürlich umso mehr, wenn es nicht um beliebige individuelle Ambitionen geht, sondern um den Fortbestand unserer Zivilisation. Klingt recht pathetisch, doch kleiner geht’s eben nicht, wenn immer mehr Plastik die Meere verseucht, immer mehr Ressourcen zur Neige gehen und die industrielle Produktion ungebremst Schadstoffe emittiert.
Seit Jahrzehnten wird mit Vehemenz über den Klimawandel debattiert, werden Antriebsformen zur Disposition gestellt, wird aus bestimmten Rohstoffen und Technologien ausgestiegen, werden hehre Ziele verkündet und stets die Verbraucher zu einem bewussteren Konsum gemahnt. Das mag alles mehr oder weniger richtig sein, erschöpft sich aber viel zu sehr im Theoretischen. Die Klimaaktivisten von Fridays for Future haben vollkommen recht, wenn sie eine unzureichende Nutzbarmachung der realiter bestehenden technologischen Möglichkeiten kritisieren. Wir könnten viel weiter sein, wenn wir anfangen würden, das große Ganze zu betrachten, anstatt uns in der Vielzahl von Partikularinteressen zu verzetteln.
Eine Frage des Preises
Die Kreislaufwirtschaft ist ein unterbelichteter Aspekt der Klimadebatte. Energie, Verkehr oder der Wärmesektor erhalten eine deutlich höhere Aufmerksamkeit. Und dies, obwohl in der konsequenten Wiederverwertung ein Schlüssel zur Lösung zentraler Klimaprobleme liegt. Kreislaufwirtschaft klingt nach einem perpetuum mobile. Das ist es schon deshalb nicht, weil zur Aufbereitung der Stoffe Energie und Arbeitskraft eingesetzt werden müssen. Doch es erschließt sich jedem Laien, welch immenser ökologischer Nutzen in möglichst vollständigen Stoffkreisläufen stecken kann. Bereits heute werden 50 Prozent der Kunststoffabfälle wiederverwertet, das Problem ist allerdings, dass sie – beispielsweise von der Verpackungswirtschaft – nicht ausreichend nachgefragt werden, weil die Anschaffung von Neuplastik noch immer günstiger als die Verwendung von Recyclaten. Das erscheint grotesk. Wir investieren erfolgreich in eine Technologie, sind dabei weltweit führend, aber wir nutzen sie nicht, weil es ein paar Cent günstiger ist, immer wieder neues Plastik zu erschaffen – einen Rohstoff, der sich mittlerweile zu einer der schärfsten Bedrohungen unserer Zivilisation entwickelt hat. Es ist ein Fortschritt, dass diese Abfälle nunmehr thermisch verwertet werden, anstatt sie einfach auf die Deponie zu schaffen. Doch auch bei der Verbrennung entweichen schädliche Emissionen und vor allem steht der Rohstoff für eine weitere Verwendung nicht mehr zur Verfügung.
Design und Recycling
Die deutsche und europäische Kreislaufwirtschaftspolitik verfehlt ihre Ziele deutlich. Das muss sich ändern und tatsächlich ließen sich eine Reihe von Maßnahmen denken, die wirksame Effekte versprechen. Zunächst einmal der Preis als der wichtigste Parameter für die Steuerung von Konsum und Produktion. Recyclate sind zu teuer und Neuplastik ist zu günstig. Ersteres ließe sich leicht ändern, wenn bereits bei der Herstellung eines Produktes darauf geachtet werden müsste, wie es sich später wiederverwerten lässt. Dazu müsste die Ökodesign-Richtlinie der Europäischen Kommission auf deutlich mehr Produkte ausgeweitet werden, als dies heute der Fall ist. Dann wäre hoffentlich Schluss mit mehrschichtigen Verpackungen und sonstigen Verbundmaterialien, die keine Sortieranlage der Welt mehr trennen kann. Entsorgung, Sortierung und Wiederaufbereitung ließen sich in diesem Falle deutlich kosteneffizienter organisieren. Ein gewisser Recyclat-Anteil kann aber auch schlicht vorgeschrieben werden. Dieser Eingriff in den Markt ist aufgrund der umweltpolitischen Dringlichkeit durchaus angemessen. Die Ressourcenkommission im Umweltbundesamt hat bereits konkrete Ideen entwickelt, wie sich für jede Produktgruppe ein bestimmter Recyclat-Anteil festlegen lässt, der die wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie die umweltpolitischen Prämissen widerspiegelt und sich dynamisch anpassen lässt. Das hätte den charmanten Nebeneffekt, dass wir damit die heimische Wirtschaft stärken würden, anstatt die Ölscheichs dieser Welt noch reicher zu machen, als sie ohnehin schon sind. Europa verfügt kaum über natürliche Ressourcen und sollte sich deshalb umso mehr um eine Wiederverwertung bemühen. Hier verknüpft sich das ökologisch Sinnvolle mit dem volkswirtschaftlich Vorteilhaften. Ein weiterer Mehrwert könnte darin bestehen, dass die in weiten Teilen der Europäischen Union noch immer auf Deponien lagernden Reststoffe endlich einen Markt finden würden.
Transparenz für den Verbraucher
Das wirksamste Mittel für nachhaltige Neuorientierungen ist aber der Konsum. Etliche Studien zeigen, dass sich die Verbraucher immer stärker für die Herkunft, die Inhaltsstoffe, die Produktion und die Nachhaltigkeit von Produkten interessieren. Der Preis ist vielleicht der wirkmächtigste Indikator für eine Kaufentscheidung, doch andere Produktfacetten sind von wachsender Bedeutung. Das gilt für die Qualität, aber auch für ethische Normen. Es ist mittlerweile selbstverständlich, dass bei Tierprodukten über die Haltungsform informiert wird, dass ein Fair Trade-Siegel die Herstellungsbedingungen in den Entwicklungsländern ins Visier nimmt und seit Jahren wird über die Einführung einer Lebensmittelampel debattiert. Über die Wirksamkeit dieser Zertifizierungen mag man geteilter Meinung sein, schädlich sind sie sicher nicht. Warum also keine Umwelt- oder Recyclingampel? Angesichts der enormen klimapolitischen Herausforderungen und der ausgeprägten Relevanz, die dem Thema nunmehr auch medial eingeräumt wird, ist es erstaunlich, dass ein solches Label noch immer nicht in Erwägung gezogen wurde. Die Europäische Kommission schlägt an dieser Stelle einen elektronischen Produktpass vor, anhand dessen sich die Konsumenten über Herkunft, Zusammensetzung und Reparaturhinweise informieren können. Das ist vielleicht wohlwollend gemeint, doch in der Umsetzung kaum vorstellbar. Es beginnt schon damit, dass die Verbraucher die Informationen selbst im Internet abrufen und bewerten müssen. Das ist lebensfern. Diesen Umweg werden nur die Wenigsten antreten. Neben der erwartbar geringen Wirksamkeit steht produktionsseitig ein enormer Informationsaufwand. Und nicht zuletzt wird irgendeine Institution die Transparenz der vermittelten Informationen überwachen müssen. Warum also kompliziert, wenn es auch einfach geht? Ampelsysteme haben schon in vielfältigen Zusammenhängen ihren Dienst getan – vom Straßenverkehr bis hin zur aktuellen Corona-Pandemie. Es ist ein sehr einfacher und überall etablierter Code, der sich auch im Vorbeigehen wahrnehmen lässt. Der Kunde kann gleich erkennen, welche Produkte ökologisch unbedenklich sind und welche man mit gutem Gewissen eher nicht erwerben sollte. Die Einstufung wird von unabhängigen Fachleuten vorgenommen und die Industrie erhält endlich die nötigen Anreize für eine Umstellung der Produktion. Das ist schließlich die Aufgabe von Politik. Nicht in den Markt einzugreifen, sondern die richtigen Impulse zu setzen.
Fazit
Wenn die Klimapolitik glaubhaft bleiben will, dann muss sie bereit sein, mindestens die leicht zu erreichenden Ziele konsequent anzugehen. Es liegt auf der Hand, dass die Recyclingquote dringend höher werden muss. Doch dazu braucht es politischen Mut und keine weichgespülten Lobbykompromisse. Neben solchen Unternehmen, die vehement Einspruch gegen transparente Produktkennzeichnungen anmelden, gibt es auch jene, die sich gerne durch eine besondere ökologische Innovativität auszeichnen wollen.
Darüber hinaus ist es vollkommen unzureichend, die Klimadebatte stets nur auf Energie und Verkehr zu verkürzen. Die Kreislaufwirtschaft kann mindestens die gleichen Impulse setzen. Schon heute ist technologisch Vieles möglich. Wenn wir es ernst nehmen mit unseren Ambitionen, sollten wir diese Potentiale möglichst zeitnah und vollumfänglich nutzen.