Mit Kapital die Schöpfung retten

Mit Kapital die Schöpfung retten
Es gibt nur EINE zweite Chance: Erneuerte soziale Markt- und Kreislaufwirtschaft

Erschienen ist das Buch im Oktober und vorgestellt wurde es am 28. 10. 2022 mit einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in Anwesenheit des Thüringer Ministerpräsidenten in der Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund in Berlin. Neben Bodo Ramelow waren weitere Gesprächspartner Stephanie Otto, Vorstandsvorsitzende der Berliner Stadtreinigung, das europaweit größte kommunale Abfallwirtschaftsunternehmen, Ludger Rethmann, Vorstandsvorsitzender und Mitinhaber von Remondis, größtes privates Rückgewinnungsunternehmen in Deutschland und eines der größten weltweit, Nora Sophie Griefahn, Co-Gründerin und geschäftsführende Vorständin von Cradle to Cradle (NGO) sowie die beiden Autoren Prof. Dr. Michael Schäfer und Dr. Joachim Ludwig.

Die noch so nie so komplex vorgenommene Bestandsaufnahme der Autoren zur ökologisch determinierten existentiellen Bedrohung des irdischen Lebens kommt zu folgendem Fazit: Zeitgleich mit dem Beginn der industriellen Revolution vor rund 200 Jahren, also mit der Geburtsstunde des Kapitalismus, begann auch die massive globale Zerstörung unserer natürlichen Lebensbedingungen. Das setzt sich bis heute fort, das Tempo hat sogar noch zugenommen. Angesichts dazu mutet der dazu formulierte Lösungsvorschlag der Autoren auf den ersten Blick fast grotesk an: Denn nicht mit einem neuen Gesellschaftsmodell, sondern innerhalb des kapitalistischen  Systems, allerdings gründlich reformiert, wollen sie die Schöpfung retten. Ihre Idee für das wie der ökonomischen und politischen Umsetzung ist revolutionär und zugleich verblüffend einfach.

Eingeleitet wird das beim renommierten Verlag Springer Gabler, Wiesbaden, erschienene Buch mit einem fiktiven Interview. Karl Marx, Friedrich Engels und Papst Franziskus „antworten“ mit Aussagen aus ihren Originaltexten auf gleichlautende Fragen. Was beeindruckt, sind die großen Übereinstimmungen vor allem zum Zusammenhang von kapitalistischer Produktionsweise und Naturzerstörung.

Dazu Bodo Ramelow in der Diskussionsrunde: „Mich hat an diesem Buch der Spannungsbogen von Marx und Engels einerseits und Papst Franziskus andererseits fasziniert. Ihnen sind zwei Dinge gemeinsam. Der große Respekt vor der Schöpfung und die Sicht, dass ein ungezügelter Kapitalismus mit seinem Raubbau an den natürlichen Ressourcen unsere irdische Existenz massiv bedroht. Der Papst formuliert es mit seinem Satz, dass diese Wirtschaft tötet, noch drastischer. Die Autoren leiten aus dieser übereinstimmenden Analyse eine radikale Forderung ab: Jeder Produzent muss die Kosten der weitgehenden stofflichen Rückgewinnung selbst tragen. Damit werden die innovativen Potenziale des Kapitalismus für eine konsequente Kreislaufwirtschaft erschlossen. Auf dem Markt werden der Kapitalisten die höchsten Gewinne erzielen, die dieses Postulat mit der höchsten Rückgewinnungsquote und den geringsten Kosten umsetzen. Damit ist das Argument vom Tisch, dass Kreislaufwirtschaft zwar gut, aber leider unbezahlbar ist. Wir brauchen tatsächlich keine neuen „Ismen“. Die erneuerte soziale Marktwirtschaft – die sieben Prämissen für diese Reform werden im Buch entwickelt – ist die Lösung.

Für mich ist das Buch ein wichtiger Beitrag zu einem gesellschaftlichen Diskurs ohne ideologische Schranken und Scheuklappen. Denn hinter dieser Idee können sich weltanschaulich 2,2 Milliarden Christen mit den vielen Menschen unter einer Fahne versammeln, die sich auch heute auf Marx und Engels und deren Kapitalismuskritik und -analyse beziehen. Ein gewaltiges Potenzial.“

Es gibt nur EINE zweite Chance: Erneuerte soziale Markt- und Kreislaufwirtschaft. Dieser Untertitel des Buches ist kein abstraktes Postulat. Dahinter verbirgt sich das von Bodo Ramelow in der Diskussion aufgegriffene verblüffend einfache, neue und radikale  Verursacherprinzip. In seiner für das Buch erarbeiteten Definition von Kreislaufwirtschaft erweitert Professor Schäfer das tradierte Verständnis von kommunaler Daseinsvorsorge auch für die globale Ebene und dies mit einem einzigen Satz:  „Für die Gesamtheit der wirtschaftlichen Betätigung muss gelten, dass die Erzielung und erst recht die Maximierung von Gewinnen nur zulässig sind, wenn jedwede Gefährdung von Mensch und Natur grundsätzlich und nachweislich ausgeschlossen wird“.

Diese wenigen Prinzipien und Mechanismen brauchen keine dicken Gesetzeswerke, sie passen auf eine Seite. Deren Implementierung ist dennoch eine gewaltige Herausforderung. Diesem politischen Prozess – bis dato von Stillstand und Zögerlichkeit geprägt – widmen die Autoren ihr letztes Kapitel. Sie referieren zunächst die sieben apokalyptischen Plagen der Weltzerstörung. Dagegen setzen sie die erwähnten sieben Prämissen zum wie der Rettung der Schöpfung. Ihr Credo lautet „Kooperation statt Konfrontation“. Mit dem Fokus auf den russischen Krieg gegen die Ukraine formulieren Schäfer und Ludwig: „Was über Jahre fast vergessen schien, ist seit dem 24. Februar wieder allen bewusst: Neben der existentiellen Bedrohung unseres Planeten durch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen gibt es auch weiterhin die bis dato fast vergessene Gefahr der Vernichtung der Menschheit durch einen nuklearen Krieg. Beide Szenarien existieren nicht solitär. Für deren Verhinderung gibt es nur einen Weg: Konstruktive Kooperation im globalen Maßstab. Wie das konkret gestaltet werden kann, wird im Buch konzeptionell entwickelt.

Es erscheint –  das ist von hoher Symbolkraft – in einem Jahr mit zwei runden Jubiläen die für den Titel herausgehobene Bedeutung haben. Am 2. März 1972, also vor 50 Jahren,  erschien das berühmte Manifest des „Club of Rome“ mit dem Titel „Grenzen des Wachstums“. Fünf Jahrzehnte, in denen nichts getan wurde, die schon damals drohende  Apokalypse abzuwenden. Am 8. Oktober 2022 wurde des 30. Todestages von Willy Brandt gedacht. Der Architekt und zugleich Baumeister einer neuen deutschen Ostpolitik steht symbolträchtig für das im Buch begründete Erfordernis, die beiden großen existentiellen Menschheitsbedrohungen mit umfassender globaler Kooperation abzuwenden.

Für die Autoren ist es bereits 5 nach 12. Deshalb zitieren sie den Papst aus der Rede, die er am 24. September 2022 bei seinem Treffen mit jungen Wirtschaftswissenschaftlern aus der ganzen Welt in Assisi gehalten hat: „Die Erde brennt heute und heute müssen wir etwas ändern“.

Mit Kapital die Schöpfung retten
Es gibt nur EINE zweite Chance: Erneuerte soziale Markt- und Kreislaufwirtschaft
Springer Gabler, Wiesbaden, 2022
www.springerprofessionell.de

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