Aufbau statt Zerschlagung

Ostdeutsche Kommunalwirtschaft als erfolgreicher Gegenentwurf zum Destruktions-Modell der Treuhand

Die am Ende des Textes zum Stromvergleich apostrophierte Leuchtfunktion der ostdeutschen Kommunalwirtschaft im Wirtschaftsleben der neuen Länder basiert zunächst auf der bis heute andauernden Unterentwicklung des privatwirtschaftlichen Sektors. In dieser Konstellation stellen kommunale Unternehmen nicht selten die einzigen Fix- und Ausgangspunkte wirtschaftlicher Impulse im Osten dar“ (Schäfer, Michael (2014) Kommunalwirtschaft. S.59f, Springer Gabaler, Wiesbaden).

Aber sie kann diese Rolle nur deshalb so erfolgreich verkörpern, weil ihre Protagonisten in der Kommunalpolitik und den Unternehmen die Chance eines kompletten Neubeginns nach der Wende konsequent, mit großer Tatkraft und Kreativität genutzt haben. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass nach der Wende in Ostdeutschland Akteure aus den alten Bundesländern einen zum Treuhandvorgehen – „Privatisierung koste, es was es wolle“ – alternativen Weg beschritten haben: Sanierung bestehender und Implementierung neuer Wertschöpfungsstrukturen.

Ein wichtiges Erfolgsrezept unter diesen historisch einmalig zu nennenden Bedingungen ist die Etablierung von Unternehmen der Öffentlich-Privaten Daseinsvorsorge (ÖPD). Diese entstanden in fairen Partnerschaften mit den Kommunen der neuen Länder, die nach 40 Jahren Staatssozialismus am 17. Mai 1990 mit dem von der freigewählten Volkskammer beschlossenen Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) auch ihr Vermögen zurückerhalten hatten. Vorenthalten – siehe unser Hauptbeitrag – wurde den Kommunen zunächst das Energievermögen. Das hatten die drei großen westdeutschen Energiekonzerne bereits 1990 unter sich aufgeteilt, Mit dem historischen Stromvergleich vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 1992 wurde das weitestgehend korrigiert.

Auf diese Weise entstanden in der kommunalen Energiewirtschaft der neuen Länder auch eine ganze Reihe neuer ÖPD-Unternehmen, die ihre Stabilität und Flexibilität unter extremen Herausforderungen wie der Liberalisierung des Energiemarktes, der Energiewende und der aktuellen Energiekrise, ausgelöst durch den russischen Krieg gegen die Ukraine, bewiesen haben. Das gilt explizit nicht nur für die kommunale Energiewirtschaft. Deshalb es auch zulässig, einen Zusammenhang zwischen den Netzwerken von Thüga und Remondis herzustellen.

Deren Genesis ist wiederum deutlich anders, als die der drei westdeutschen Stromversorger RWE, PreußenElektra und Bayernwerk. Wie wir im Hauptbeitrag ausführlich dokumentierten, hatten diese bereits im August 1990 den DDR-Markt nahezu komplett unter sich aufgeteilt. Die zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Stromverträge hätten kommunale Stadtwerke in den neuen Ländern dauerhaft verhindert. Dagegen klagten ostdeutsche Kommunen, die mit der o. a. BvG-Entscheidung ihr Energievermögen zurückerhielten.

Die westdeutschen Stromkonzerne nutzten danach in vielen Fällen die im Stromvergleich fixierte Möglichkeit, sich an den neuen ostdeutschen Stadtwerken zu beteiligen. Umgekehrt konnten sich ostdeutsche Kommunen an Regionalversorgern, also den ostdeutschen Töchtern der Energiekonzerne beteiligen.

Insofern fungierte der Stromvergleich auch als Treiber dafür, dass die kommunale und regionale Energiewirtschaft im Osten ein gemischtwirtschaftliches Antlitz hat: In den Stadtwerken geprägt durch privaten Minderheitsbeteiligungen vor allem der Konzerne RWE und E.dis, und bei den regionalen Energieversorgern durch kommunale Gemeinschaftsbeteiligungen. Das sind privatrechtliche Konstrukte, zu denen sich Kommunen bzw. deren Stadtwerke mit dem Ziel zusammengeschlossen, sich gemeinsam an Regionalversorgern zu beteiligen. Auf diese Weise haben die involvierten Kommunen als Gesellschafter mit Anteilen über die Sperrminorität hinaus auch strategische Einflussmöglichkeiten.

Von diesem Muster deutlich abweichend sind die Beteiligungen der Thüga. Dieses Unternehmen repräsentiert das größte kommunale Beteiligungsnetzwerk in Deutschland: Rund 100 Beteiligungen, 20.300 Mitarbeiter und ein Jahresumsatz von 21,5 Milliarden Euro (2019). Schwerpunkte der Geschäftstätigkeit sind die Energie- und Wasserwirtschaft. Anders als die genannten Konzerne hat die Thüga ihre ostdeutschen Beteiligungen aus eigener Kraft akquiriert und etabliert. Und zwar auf der Grundlage des sogenannten Thüga-Modells. Die dort verankerten bereits 1916 definierten Prinzipien haben sich bis heute kaum verändert. Bemerkenswert ist, dass sich diese Grundsätze in privater wie kommunaler Eigentümerschaft bewährt haben. Der privatwirtschaftliche Status innerhalb des Energiekonzerns Eon wurde im Dezember 2009 durch den Verkauf der Thüga an zwei kommunale Konsortien beendet. In diesen Eigentümergruppen sind Kommunen vereint, an denen die Thüga Beteiligungen unterhält.

Mit dem Bestand der Beteiligungsphilosophie in zwei grundlegend verschiedenen Eigentumsformen wird auch die zentrale These des Bloggers zum objektiven Erfordernis von Kooperationen bestätigt. Ebenso dessen Postulat, dass externe – im Regelfall sind das private – Beteiligungen an kommunalen Daseinsvorsorgeunternehmen immer Minderheitsbeteiligungen sein sollten. Dieses Prinzip ist wesentlicher Bestandteil der Thüga-Beteiligungsphilosophie.

Dies gilt auch für das größte private Beteiligungsnetzwerk im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge, das von Remondis.

Diese Beteiligungsgrundsätze von Thüga wie von Remondis haben sich gerade auch bei der Etablierung neuer Daseinsvorsorgestrukturen in den neuen Ländern, also in einer für Deutschland einmaligen historischen Situation, bewährt. Beide Unternehmen haben mit weit überdurchschnittlichem Engagement nach der friedlichen Revolution des Jahres 1989 in den neuen Ländern zum Aufbau einer modernen kommunalen Energie-, Entsorgungs- und Wasserwirtschaft beigetragen. In erster Linie durch Beteiligungen an vielen der neuen kommunalen Daseinsvorsorgeunternehmen.

Damit sind leistungsfähige Wertschöpfungsstrukturen entstanden. Das darin enthaltene kommunale Vermögen gehört letztendlich den Bürgern. Das ändert nichts am extremen Übergewicht der alten Länder beim Produktivvermögen. Aber die Entstehung und auch der Zuwachs an kommunalem Vermögen – dieser kann für praktisch alle ÖPD-Unternehmen gezeigt werden – stärkt die für unsere Gesellschaft so wichtigen Kommunen und hat darüber hinaus auch Symbolkraft. Denn die Daseinsvorsorgestrukturen in den neuen Ländern sind im Vergleich mit dem Westen absolut ebenbürtig, in vielen Fällen sogar moderner und effizienter. Was auch als Indiz dafür gelten darf, dass sich der Osten vermutlich deutlich besser entwickelt hätte, wenn man auch für industriellen DDR-Strukturen ähnliche Wege der Sanierung im Rahmen fairer Partnerschaften beschritten hätte.

Das ostdeutsche Engagement von Thüga und Remondis zeigt die folgende Tabelle:

Überproportionale Häufigkeit von ÖPD-Unternehmen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge der Beteiligungspartner Thüga und Remondis als Beleg für den forcierten Aufbau kommunaler Wertschöpfungsstrukturen in den neuen Ländern nach 1990

ÖPD-Unternehmen Thüga Deutschland ÖPD-Unternehmen Remondis (absolut und in Prozent)
Deutschland Gesamt
(Bevölkerung, ökonomische Parameter)
100 % 89 = 100 % 66 = 100 %
davon Ostdeutschland 20 % 26 = 29 % 23 = 29 %

Thüga und Remondis sind in den ersten Jahren nach der Wende überproportional in Ostdeutschland gewachsen. Die damals entstandenen ÖPD-Strukturen sind nahezu ausnahmslos bis heute nicht nur von Bestand, sondern haben auch erheblich an Wert gewonnen. Mit der Kraft des Faktischen stehen sie für das von uns präferierte Partnerschaftsmodell: Gemischtwirtschaftliche Unternehmen in der kommunalen Daseinsvorsorge, die in Netzwerken ihre großen Potenziale besonders gut entfalten, und an denen im Regelfall die Kommunen die Mehrheitsanteile halten.   

In der ostdeutschen kommunalen Energiewirtschaft liegt auch in Gänze, also nicht nur die genannten Beteiligungen, der Anteil an ÖPD-Unternehmen im Osten deutlich höher als im Westen. Das zeigt die aktuelle Mitgliederstatistik des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. Während der Anteil von ÖPD-Unternehmen an den Mitgliedern deutschlandweit bei knapp 24 Prozent liegt, beträgt er in Ostdeutschland rund 37 Prozent (2021).

Im Vergleich mit den Strukturen im Kontext mit dem Stromvergleich hat die Aufbauarbeit von Thüga und Remondis eine andere Qualität. Denn hier entstanden ÖPD-Strukturen im aktiven, selbstverantworteten Handeln gleichberechtigter Akteure aus der kommunalen Familie und der privaten Wirtschaft. In Gänze haben die in Relation zu den alten Ländern überproportional vertretenen ÖPD-Unternehmen in der kommunalen Daseinsvorsorge einen wichtigen Beitrag für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands geleistet.

Hinweis:

Die Definition des Bloggers zum neuen Begriff Öffentlich-Private Daseinsvorsorge finden Sie unter der Kategorie „Begriffe“ und natürlich auch direkt im Gabler Wirtschaftslexikon. Siehe dazu auch folgende Literaturhinweise: Schäfer, M / Rethmann L (2020) Öffentlich-Private Partnerschaften. Auslaufmodell oder eine Strategie für kommunale Daseinsvorsorge? Springer Gabler, Wiesbaden und Schäfer, M / Rethmann, L (2020 ) Öffentlich-Private Daseinsvorsorge (ÖPD) in Deutschland. Springer Gabler, Wiesbaden.

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Professor Dr. Michael Schäfer

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